Weisse Böhnchen for life
- thomasvonriedt
- vor 6 Tagen
- 7 Min. Lesezeit

Prolog
Neulich fiel mir ein kleines Gedicht in die Hände – so eines, das nach warmem Dosenblech, Teppichboden und Siebzigerjahre-Fernsehen riecht.
Oh, Baked Beanz, that British delight,
In cans you dwell, a comforting site
From full English breakfast to coy suppers
Your saucy embrace, a taste to flutters
With toast or bangers, you steal the show
A humble dish with a hearty glow
In pubs or couches, you’re always there
A taste of home, beyond compare
Oh, Baked Beanz, in that sauce divine
A comfort food that’s forever mine
Forever in our hearts, forever in history written
You are the taste of Britain, you are Britain.
Oh, Baked Beans, du britisches Wunder,
In Dosen gebannt, bringst du stets Gelüste unter.
Vom vollen Frühstück bis zum Abendessen,
Dein süsser Hauch lässt uns nie vergessen.
Ob mit Toast oder Würstchen, du erstrahlst,
Als einfaches Gericht, das Herzen erwärmst.
Ob im Pub oder daheim, stets treu geblieben,
Du bist der Geschmack, den wir immer lieben.
Oh, Baked Beans, in der Sauce so fein,
Ein Seelenessen, für immer mein.
Du prägst Geschichte und unser Gemüt,
Du bist der Geschmack, der ewig blüht.
Kaum hatte ich die ersten Zeilen gelesen, stand ich wieder in einer englischen Küche, irgendwo zwischen U-Bahn-Endstation Uxbridge und Nieselregen, mit einem Toast in der Hand und einem mutigen Schicksal auf dem Teller.
1. South Ruislip, Middx – Der erste Kontakt mit dem Trog
Im westlichen London, dort, wo die Stadt langsam ihre Schultern sinken lässt, und die Vororte übernehmen, begann meine Reise durch Grossbritannien. South Ruislip. Long Lane. Ein Reihenhaus mit kleinem Vorgarten, der aussah, als hätte er schon mehrere Regierungen überlebt.
Meine Unterkunft war ein einfaches Zimmer bei einer Familie, die vermutlich „quirlig“ in die Wohnungsanzeige geschrieben hätte. Quirlig ist die freundliche Variante von „laut, ständig in Bewegung und grundsätzlich knapp vor dem Chaos“.
Die Kinder hatten eine beneidenswerte Begabung, Türen so zuzuschlagen, dass man kurz an ein Erdbeben denkt, und die Hausherrin versuchte tapfer, diesem Dauersturm Herr zu werden. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck einer Frau, die sich vorgenommen hat, heute alles zu regeln – und schon nach acht Minuten merkt, dass der Tag andere Pläne hat.
Trotz allem: Ich war in England. Ich war jung. Ich war abenteuerlustig. Und ich war morgens hungrig. Eine gefährliche Kombination für jemanden, der noch nicht weiss, was ein „Full English Breakfast“ so alles bedeuten kann.
Dann kam es. Mein erstes britisches Frühstück.
Auf dem Tisch standen zwei Scheiben weisser Toast – so hell, dass man sie als Notrufsignal hätte verwenden können. Darauf: lauwarme Hörnchen in Tomatensauce, als hätte jemand in letzter Minute den Inhalt einer Dose über den Toast gerettet. Es sah aus, als wäre der Toast im falschen Film gelandet und nun heldenhaft eine rote Sosse abbekam, ohne zu wissen warum.
Ich starrte kurz, suchte innerlich nach einem kulturellen Übersetzer – fand aber nur ein Schweizer Sprichwort. „Ein gutes Schwein frisst alles, was in den Trog fällt.“ Ich war zwar kein Schwein, aber ich war höflich und definitiv der Trog-Benutzer.
Also ass ich.
Der Geschmack war… sagen wir: pragmatisch. Der Brite nennt so etwas „praktisch“. Ich nenne es „ein mutiger Start in den Tag, mit Körpereinsatz“.
2. Iver Heath, Bucks – Wo Bohnen Freunde machen
Am zweiten Morgen wurde es besser. Nicht gut, aber besser, und England lehrte mich früh, dass „besser“ schon fast ein Feiertag ist.
Diesmal gab es Baked Beans auf Toast. Weisse Bohnen in Tomatensauce, simpel, aber ehrlich. Kein Schnickschnack, kein Überraschungsangriff durch Hörnchen. Ich begann zu ahnen: Diese Bohnen würden mich noch begleiten.
Weil mich Toast allein allerdings nicht lange auf Trab hält – und weil der Trubel in South Ruislip eher einer Dauerbelagerung glich – zog ich weiter nach Iver Heath. Hübsch gelegen, ein bisschen grün, ein bisschen Filmzauber, und die Pinewood Film Studios gleich um die Ecke. Ich ging dort öfter spazieren, als wäre ich auf der Suche nach James Bond, der sich vermutlich gerade irgendwo elegant ein Martini schüttelten liess.
Mein neuer Fixpunkt war der Pub „Stag and Hounds“. Ein Ort, der schon beim Eintreten sagte: „Setz dich, du wirst sowieso bleiben.“ Holz, Teppich, ein Tresen, der so viele Ellenbogen gesehen hatte, dass er seine eigene Biografie verdient.
Ich lernte dort eine britische Spezialisierung kennen, die ich sofort mochte: Baked Beans mit Bangers und Mash. Bohnen, Würstchen, Kartoffelpüree – ein Gericht, das im Kern so tut, als wäre es nur ein Abendessen, aber in Wahrheit ein freundlicher Schulterklopfer fürs Leben.
Erstaunlich, wie gut Bohnen in Kombination mit Würstchen funktionieren. Als hätten sie sich vor Jahrhunderten verabredet und seitdem nicht mehr getrennt.
3. Die Waliser – Ein Lied für ein Pint
Abends kamen im „Stag and Hounds“ walisische Handwerker zusammen, die in den Filmstudios arbeiteten. Männer mit kräftigen Händen, grossem Appetit und Stimmen, die eigentlich für Kathedralen gebohren sind.
Wenn sie sangen, rührte sich der Raum ein wenig mit. Man spürte: Das ist Heimatmusik. Das ist „Ich vermisse die Hügel und tue jetzt so, als sei das hier auch ein Hügel“.
Eines Abends – ich war gerade dabei, meine Bohnen so zu würdigen, wie sie es verdient hatten – legte mir einer eine Hand auf die Schulter und sagte sinngemäss:
„Du bist dran.“
„Womit?“ fragte ich.
„Singen. Jeder singt. Du auch.“
Ich versuchte mich herauszureden. Ich, der bei Schulaufführungen stets zufällig krank war. Doch gegen walisische Überzeugungskraft hilft kein schwaches Schweizer „Vielleicht später“.
Also stand ich irgendwann da, mit einem Pint Fullers in Reichweite und dem Gefühl, dass ich gleich entweder Kulturschock oder Pub-Legende werde. Ich sang. Irgendetwas, das die Melodie kannte und der Text vermutlich nicht – aber in einem Pub zählt mehr die Haltung als die Tonreinheit.
Zu meinem Erstaunen wurde mein Beitrag mit Jubel und Applaus bedacht. Einer rief „Encore!“ – was so hoffte ich „Bitte hör sofort auf“ hätte heissen können, aber ich nahm es als Kompliment.
Und tatsächlich: Ein Freibier nach dem anderen kam auf den Tisch. Die Waliser hatten Humor. Oder Mitleid. Oder beides.
Für mich war es eine ökonomische Sensation: Mein Gehalt bei EMI reichte knapp fürs Leben, aber offenbar nicht für den Durst dieser Männer. Also sang ich weiter, eine Art kultureller Tauschhandel:
Lied gegen Pint, Bohnen gegen Heimweh.
4. Von der Dose zur Weltreise
Die Jahre gingen ins Land. Ich wechselte Länder, Jobs, Wetterlagen. Aber etwas blieb. Die Bohnen.
In Texas lernte ich, sie über dem Feuer im gusseisernen Topf zu machen. Dort kocht man Bohnen nicht – man zähmt sie. Man lässt ihnen Zeit, damit sie am Ende so schmecken, als hätten sie sich freiwillig in Sauce verwandelt.
In Calgary war es ähnlich. Draussen knisterte der Frost, drinnen knisterte das Feuer, und die Bohnen standen plötzlich neben Steak oder Roastbeef wie ein alter Freund, der jetzt in einem neuen Anzug geschniegelt auftritt.
Dabei ist klar: Heinz ist der König im Bohnenreich. Das ist wie bei Fussballvereinen – manche gewinnen einfach immer. Aber Heinz ist nicht allein auf dem Spielfeld. Ich habe mich durch Regale und Dosen getestet wie andere durch Weinkarten und fand weitere teils prominente Mitspieler:
Amys Kitchen – ein wenig sanfter, eher „feiner Bohnenabend“.
Bushs Best – kräftig, amerikanisch, „das macht satt“.
Serious Bean Co – schon der Name sagt, dass da jemand Bohnen nicht als Witz versteht.
Walnut Acres – eher die bodenständige Note.
Campbell’s – zuverlässig wie ein alter Pulli.
365 Everyday Value Organic Baked Beans – für Tage, an denen man gesund sein will, ohne auf Bohnen zu verzichten.
Manche Menschen sammeln Briefmarken. Ich sammelte Bohnenpräferenzen. Jeder braucht sein Hobby.
5. Bohnen überall – und immer als Hauptdarsteller
Je länger ich unterwegs war, desto mehr merkte ich: Bohnen sind Weltbürger. Sie schlendern in jedes Land, als hätten sie überall eine Wohnung.
Überall gibt es Gerichte, die eigentlich sagen: „Wir nehmen Bohnen sehr ernst.“
Ein paar der Favoriten:
Cassoulet – Frankreichs Antwort auf die Frage, wie man Winter in einem Topf speichert.
Chili con carne – wo Bohnen mit Fleisch eine kleine Revolution anzetteln.
Fasolia – mediterrane Wärme, selbst wenn’s draussen nieselt.
Feijoada – Brasilien im Löffel, üppig und feierlich.
Serbische Bohnensuppe – kräftig genug, um Berge zu versetzen.
Fagioli all’uccelletto – Italien zeigt, dass Bohnen auch flirten können.
Millionen Menschen leben mit Bohnen als Basis. Und wenn man ehrlich ist: Wir alle profitieren von Leuten, die in der Küche wissen, was man aus simplen Dingen machen kann.
6. Bean City und Golfclub-Bohnen
Irgendwann erfuhr ich, dass Boston als „Bean City of the World“ gilt. Erst dachte ich: Typisch Amerika, eine Stadt braucht immer einen Titel. Aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto logischer wurde es.
Wenn eine Stadt Bohnen im Namen trägt, bekommt sie auch Bohnen im Herzen. Kein Wunder also, dass Baked Beans als Beilage in vielen Restaurants der Golfclubs rund um Boston auftauchen.
Das ist eine wunderbare Kombination: Golf ist dieser Sport, bei dem man sehr lange Wege geht, um einen kleinen Ball zu suchen – und Bohnen sind genau das richtige Essen, um dabei nicht zusammenzufallen.
7. Jedes Böhnchen ein Tönchen
Und dann ist da noch der Gesundheitsbonus. Bohnen regulieren das Immunsystem, helfen der Darmgesundheit, liefern Proteine, Ballaststoffe – all das.
Kurz gesagt: Bohnen sind die seltene Speise, die gleichzeitig sagt:
„Ich schmecke gut“ und „Ich meine es gut mit dir.“
Wenn ich heute daran zurückdenke, beginnt alles immer wieder in dieser Long Lane, bei diesem Toast, der aussah, als hätte er sich verlaufen. Und endet bei einem Gedanken, der so simpel ist wie eine Dose Bohnen:
Man reist um die Welt, erlebt Neues, findet Freunde in Pubs, singt für Freibier, friert in Kanada, schwitzt in Texas – und am Ende gibt es Dinge, die bleiben.
Bei mir sind es die Bohnen.
Also: auf die Bohnen – jedes Böhnchen ein Tönchen!
Entschuldigt, Ladies.










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