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Titleist oder No-Name

  • thomasvonriedt
  • 26. Nov.
  • 5 Min. Lesezeit
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Uwe

 

Uwe war ein brillanter Golfer – einer von denen, die wirken, als hätte Gott ihnen beim Entstehen eine Extraportion Präzision in die Hände gedrückt. Handicap 0. Captain der ersten Mannschaft. Zwei Aufstiege hintereinander. Ein Spieler, über den man in den Ecken des Clubhauses sprach wie über ein Naturphänomen: „Der Junge hat’s einfach.“

 

Aber Talent macht das Leben nicht unbedingt leichter.

Uwe war Student in einer WG, in der die Spülberge stanken und die Zimmerwände so dünn waren, dass man die Gedanken der Mitbewohner hören konnte, bevor sie sie aussprachen. Geld hatte er selten. Glück dagegen – dafür hatte er nur begrenzte Kapazität.

 

Sein Nebenjob im Golf Shop war Notwendigkeit, aber auch Sucht. Der Geruch von frischem Gummi, Karton und Lack machte ihn ruhig, fast friedlich. Wie eine Art Ankerplatz für den Verstand. Oder ein Versteck – vor der Realität, vor Erwartungen, vor Dingen, die er nicht kontrollieren konnte.

 

 

Ein Golfspiel

 

Als Uwe die Tee-Time sah – Michaela und Anke – lächelte er zum ersten Mal seit Tagen echt. Die Chance, die beiden Frauen besser kennenzulernen, war ein Geschenk. Walter, sein Freund seit Ewigkeiten, brauchte das auch. Der Mann war nach seiner letzten Trennung nicht nur emotional, sondern auch spielerisch abgestürzt.

 

„Alter, heute wird’s ernst“, sagte Uwe am Telefon.

„Michaela. Und Anke. Halb elf.“

Kurze Stille.

„Ich… ich komme sofort.“

 

Sie warteten am Abschlag. Michaela lächelte – wie jemand, der weiß, dass er Wirkung hat. Anke dagegen hatte ein Leuchten in den Augen, das genauso mühelos zwischen Neugier und Vorsicht wechselte wie ein Chamäleon zwischen Farben.

Walter war sofort verzaubert.

 

„Welche Bälle spielt ihr?“, fragte Michaela.

 

„Titleist Pro V1“, sagte Uwe – zu sachlich, zu technisch. Aber sie nickte. Und lächelte weiterhin.

 

Beim Abschlag fühlte Uwe diese eigenartige Ruhe, die manchmal über ihn kam, als würde das Universum für einen Moment schweigen, um zuzusehen. Seine Drives waren perfekt. Walter kämpfte – aber Walter kämpfte immer.

 

Die Runde war traumhaft. Und als die Frauen später mit ihnen zum Aperitif gingen, ahnte Uwe nicht, dass dies eine der letzten wirklich hellen Stunden seines Lebens sein würde.

 

Es gibt Tage, die funkeln so lange, weil das Dunkel schon auf dem Weg ist.

 

 

Der Mann mit der Brille

 

Donnerstag. Golf Shop-Tag.

 

Uwe liebte den Laden – oder vielleicht brauchte er ihn. Der Shop war warm, hell, berechenbar. Die Kunden waren freundlich, die Regeln klar.

Anders als die Welt außerhalb.

Oder der Keller darunter.

 

Ein älterer Herr kam herein, Brille, altmodischer Anzug, Augen, die zu ruhig wirkten. Menschen haben normalerweise kleine Zuckungen im Blick – flüchtige

Gedanken, die durchschlagen.

Dieser Mann nicht.

 

„Ich hätte gern die günstigen koreanischen Bälle“, sagte er höflich.

 

Uwe setzte sein Lächeln auf.

Der Mann erwiderte es nicht.

 

„Qualität ist entscheidend“, sagte Uwe. „Gerade wenn man viele Bälle verliert. Diese koreanischen… sie reagieren nicht. Sie… fühlen sich tot an. Titleist hat Seele.“

 

Der Mann legte den Kopf leicht zur Seite, wie ein Hund, der ein hohes Geräusch hört.

„Interessant. Aber Seele…“ Er strich über einen Yeong Hon-Ball. „Das ist ein koreanisches Wort. Es bedeutet: Geist. Oder… Seele.“

Er lächelte jetzt. Aber es war kein warmes Lächeln.

 

Uwe verspürte plötzlich kalte Luft im Nacken. Der Eingang hatte sich nicht geöffnet. Kein Windzug.

Und doch war da etwas.

Der Mann nahm die Testbälle, verließ den Laden – lautlos, fast gleitend.

 

Uwe schüttelte sich.

 

Manchmal verlässt jemand einen Raum – aber etwas bleibt zurück.

 

 

Im Keller

 

Am Nachmittag sollte Uwe das Lager aufräumen.

Niemand arbeitete gern im Keller.

Der Keller war… anders.

 

Die Treppe nach unten war schmal, aus Beton gegossen, die Stufen unregelmäßig, als hätte ein schlecht gelaunter Lehrling sie im Halbdunkel gefertigt.

Das Licht flackerte sofort, als Uwe die Tür öffnete – ein nervöses Pulsieren, das im Takt seines Herzschlags zu spielen schien.

 

Der Geruch war eine Mischung aus Heizöl, feuchtem Beton und altem Metall.

Der Raum war kein Keller.

Er war ein Raum, der vorgab, ein Keller zu sein.

 

Uwe warf den Honma-Schläger bewundernde Blicke zu. Perfekte japanische Kunst. Fast so perfekt, dass sie fehl am Platz wirkten.

Zu edel.

Zu rein.

Zu lebendig.

 

Dann kam das Geräusch.

 

„Tagg… tagg… tagg.“

 

Ein Ball rollte heraus – nicht einfach fallend, sondern zielgerichtet, fast neugierig.

 

Ein Daihan Pro.

Koreanisch.

 

„Aha“, murmelte Uwe. „Du schon wieder.“

 

Er hob ihn auf – und ein kalter Schauer durchfuhr seinen Arm bis zum Ellbogen.

Er warf den Ball weg, fast angewidert.

Der Ball rollte unter ein Regal.

Wie in Deckung.

 

Dann wurde es schlimmer.

 

 

Ein Albtraum

 

Zuerst ein leises Zischen.

 

Dann ein Schuss.

 

„Ssss—Boing!“

 

Ein Ball prallte gegen eine Kiste.

Dann der nächste.

 

„Sssss—Boing! … Sssssh—Boing!“

 

Einer zischte so nah an seinem Ohr vorbei, dass er glaubte, das Flüstern eines fremden Atems zu hören.

 

„Sven!“, brüllte Uwe. „Hör auf, verdammt!“

 

Doch der Keller antwortete nicht.

Er atmete nur.

Langsam.

Kalt.

 

Die Leuchtbälle tauchten auf – rot, grün, weiß – und tanzten durch die Dunkelheit wie Irrlichter.

Ihre Bewegungen waren nicht zufällig.

Sie wirkten wie… geplant.

Koordiniert.

 

Dann erlosch das Licht.

 

Komplett.

 

Nur eine einzelne Lampe brannte noch – und schaltete sich in einem unregelmäßigen Rhythmus ein und aus.

Ein Herzschlag.

Ein fremder Herzschlag.

Nicht sein eigener.

 

„Sven…?“, flüsterte Uwe.

 

Keine Antwort.

 

Stattdessen ein Geräusch wie flüsternde Schritte – aber auf Bällen.

 

Die Dunkelheit war nicht leer.

Sie war gefüllt mit Erwartung.

Mit Hunger.

 

Uwe setzte einen Fuß nach vorne – trat auf etwas Rundes – glitt aus –und die Welt drehte sich in einem schmutzigen Karussell aus Schatten, Rumoren und kalter Luft.

 

Sein Kopf traf die Stufe.

 

Es klang wie ein Stein, der auf Eis schlägt.

 

Dann nichts mehr.

 

 

Seele

 

Am nächsten Morgen rief Walter im Shop an.

Besorgt.

 

„Uwe ist abwesend. Das ist nicht seine Art.“

 

Der Store Manager versprach nachzusehen.

 

Gegen Mittag kam der ältere Herr wieder in den Laden.

 

Er legte die drei Titleist-Bälle auf den Tresen.

 

„Ich tausche sie um“, sagte er leise. „Ich möchte die koreanischen Yeong Hon. Wissen Sie… Seele ist ein vielschichtiges Wort.“

Ein seltsames Funkeln lag in seinen Augen.

„Manche Dinge müssen erst befreit werden, bevor sie sich zeigen.“

 

Meyer fröstelte, wusste aber nicht, warum.

Er ging in den Keller.

 

Die Luft war kälter als sonst.

Still.

Viel zu still.

 

Uwe lag auf dem Boden.

Reglos.

Sein Gesicht – eingefroren in einem Schrei, den er nicht mehr geschafft hatte.

 

Um ihn herum lagen Hunderte Golfbälle wie eine Armee, die nach getaner Arbeit pausiert.

 

Und in Uwes verkrampfter linker Hand: ein einziger Yeong Hon-Ball.

 

Weiß.

Makellos.

Und warm.

 

Viel zu warm.

 

Meyer wich zurück. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Unten im Keller roch es nicht mehr nach Öl. Sondern nach… Metall.

Und etwas, das entfernt an Atem erinnerte.

 

„Ein Unfall?“, flüsterte er.

 

Aber irgendetwas in der Dunkelheit widersprach.

 

Leise.

Geduldig.

Wartend.

 

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