Max - Ein ereignisvoller Tag
- thomasvonriedt
- vor 6 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

Max genoss einmal mehr einen sonnigen Tag auf dem Golfplatz der Oberen Alp im Schwarzwald. Das Licht war klar, die Luft frisch, und am Horizont schimmerten die Schweizer Berge, als hätte jemand sie mit einem feinen Pinsel in den Himmel gemalt.
Es war einer dieser Donnerstage, an denen einfach alles zu stimmen schien. Der Schwung fühlte sich leicht an, der Rücken muckste nicht und die Gedanken waren frei. Auf Loch 1 ein souveränes Par, auf Loch 2 der Annäherungsschlag dicht an die Fahne – und auf Loch 3 krönte er den Start mit einem Birdie. Max spürte, wie sich eine wohltuende Ruhe in ihm ausbreitete. Heute könnte etwas Besonderes passieren.
Rosie, die Königin der Stockrosen
Auf dem Weg zu Loch 4 legte er wie so oft eine kurze Pause an „seiner“ Bank ein. Sie stand leicht erhöht, mit Blick hinunter ins Tal, eingerahmt von Stockrosen in allen Farben: zartes Rosa, kräftiges Rot, sonniges Gelb.
Eine einzelne, besonders hohe Blume ragte aus dem bunten Gefolge heraus. Max hatte sie in Gedanken „Rosie“ getauft. Sie stand so nah an der Bank, dass ihre Blüten ihn beim Hinsetzen fast streiften.
„Na, Rosie“, murmelte er schmunzelnd, „heute läuft’s richtig gut. Ich hoffe, du schaust gnädig zu.“
Ein warmer Wind strich über den Hang, und für einen Moment schien es, als würde Rosie ihm zustimmend zunicken. In solchen Augenblicken war Max überzeugt, dass der Platz lebte – mit Blumen, Bäumen, Vögeln und all den Geschichten, die hier schon gespielt worden waren.
Er atmete tief durch, genoss den Duft von Harz und frisch gemähtem Fairway, trank einen Schluck Wasser und machte sich wieder auf den Weg.
Verlust im Rough, Fund im Gras
Bis Loch 6 blieb der Zauber des Tages erhalten. Der Drive lag perfekt in der Bahn, der zweite Schlag war nur noch Formsache – dachte Max. Ein kleiner Konzentrationsfehler, ein leicht verdrehter Schlägerkopf, und der Ball flog statt auf das Green schnurstracks ins hohe Rough rechts der Bahn.
„Ausgerechnet jetzt“, knurrte er. „Wenn’s so gut läuft.“
Er stellte den Schläger beiseite und stapfte ins Gras, das ihm bis über die Knöchel reichte. Die Zeit drängte ein wenig, hinter ihm wartete bereits der nächste Flight, und sein gelber Lieblingsball war ihm ans Herz gewachsen.
„Komm schon, zeig dich“, murmelte er und schob die Halme zur Seite.
Das Gras raschelte, Insekten summten, eine Hummel nahm es ihm übel, gestört zu werden. Schon wollte Max innerlich das Provisorische in Kauf nehmen, da blitzte etwas Goldenes im Sonnenlicht auf.
„Da bist du ja“, sagte er erleichtert, bückte sich – und staunte.
Kein Ball.
Auf seiner Handfläche lag ein Golddollar, alt, schwerer als eine normale Münze, mit deutlichen Gebrauchsspuren.
„Na so was“, flüsterte Max. „Da hat wohl ein wohlhabender Tourist mehr als nur Golfbälle verloren.“
Der gelbe Ball blieb verschwunden, doch der Ärger wich einem breiten Grinsen. Mit einem Fund im Wert von mehreren Dutzend Bällen konnte er leben. Sorgfältig steckte er die Münze in die rechte Hosentasche – ganz vorne, damit sie ja nicht herausrutschte.
Sonny, der Ballräuber
Zurück am E-Cart erwartete ihn die nächste Überraschung.
Sonny, der Mops des Greenkeepers, stand schwanzwedelnd zwischen den Rädern und blickte ihn mit grossen Kulleraugen an. Im Maul unübersehbar – der vermisste gelbe Ball.
„Sonny, du alter Schlawiner“, sagte Max. „Der gehört mir.“
Der Hund quittierte die Ansprache mit einem freudigen Grunzen, machte auf dem Absatz kehrt und stob mit erstaunlicher Geschwindigkeit über den Weg davon. Mit seinen kurzen Beinen schaffte er es zwar nicht weit, aber für Max reichte es, um ausser Puste zu geraten.
Nach wenigen Metern brach er die Verfolgung ab und blieb lachend stehen. „Schon gut, Sonny. Behalte ihn. Du hast ihn mühsamer gefunden als ich.“
Er wischte sich die Stirn, spürte das Gewicht der Münze in der Tasche und dachte:
„Einen gelben Ball verloren, einen Golddollar gewonnen – die Tagesbilanz stimmt immer noch.“
Der rollende E-Cart und die verpasste 75
Die Sonne stand mittlerweile hoch und brannte auf seinen Nacken. Der Durst wurde grösser, aber Max wollte die Runde unbedingt konzentriert zu Ende bringen. Die Schläge auf den folgenden Bahnen waren solide, manchmal sogar brillant. Immer wieder schweifte sein Blick in die Berge und kehrte dann fokussiert zum Ball zurück.
Als er endlich an Loch 18 ankam, wusste er: Wenn jetzt alles klappt, steht eine 75 auf der Karte – ein Ergebnis, von dem er an durchschnittlichen Tagen nur träumen konnte.
Er parkte das E-Cart leicht schräg neben dem Abschlag, stieg aus, überprüfte noch einmal Linie und Wind.
„Konzentrier dich“, sagte er leise zu sich selbst. „Ruhig bleiben, dann kommt der Schlag von allein.“
Gerade als er an den Ball treten wollte, hörte er hinter sich ein leises Klicken und ein sanftes Rumpeln. Er drehte den Kopf – und sein Herz machte einen Satz.
Das E-Cart setzte sich langsam, aber unaufhaltsam in Bewegung. Die Feststellbremse hatte er offenbar nicht richtig eingelegt.
„Nein, nein, nein…“
Max rannte los, doch der Wagen war näher am Gefälle als er. In einer eigentümlichen Mischung aus Würdeverlust und Slapstick rollte das E-Cart den Hang hinunter und plumpste mit einem kräftigen Platsch in den Feuerwehrteich. Eine kleine Welle schwappte ans Ufer, ein paar Enten flatterten empört davon.
Auf der Veranda des Clubrestaurants verstummten die Gespräche für einen Moment, dann ertönte ein kollektives „Ooooh!“ – gefolgt von Gelächter.
Max blieb oben am Abschlag stehen, rang zwischen Ärger und der Absurdität der Szene. „Na grossartig“, dachte er. „Jetzt sind alle Augen auf mich gerichtet.“
Der Puls raste, die Hände waren schweissig. Der nächste Schlag? Weit entfernt von idealen Bedingungen.
Er atmete tief durch, zwang sich zur Routine und schlug. Der Ball flog – aber nicht so, wie er sollte. Ein sicher geglaubtes Par verwandelte sich in ein Bogey. Die 75 war Geschichte, auf der Karte stand am Ende eine 76.
Bier, Gelächter und Gelassenheit
Nach dem letzten Putt sammelte Max seine Würde ein, so gut es ging, und ging zuerst ins Sekretariat. Sachlich schilderte er den Vorfall, versprach, sich an der Rechnung der Bergungskosten zu beteiligen, und unterschrieb schliesslich noch die Scorekarte.
Danach steuerte er direkt auf die Terrasse zu.
Einige Gäste grinsten ihm entgegen. Einer rief: „Na, Max, übst du jetzt auch Wasserhindernisse mit dem E-Cart?“ Ein anderer ergänzte: „So viel Entertainment hatten wir hier schon lange nicht mehr!“
Max setzte sich, bestellte ein kühles Bier und wartete, bis das Glas vor ihm stand. Dann hob er es und sagte trocken:
„Sollen die alle erst mal eine 76 spielen, unterwegs Gold finden und für Unterhaltung sorgen – dann reden wir weiter.“
Die Runde lachte, und das Lachen war freundlich, nicht spöttisch. Die Geschichte vom badenden E-Cart machte rasch die Runde; im Winter wird sie wohl noch ein wenig ausgeschmückt.
Max lehnte sich zurück, spürte den kühlen Glasrand an den Lippen und die angenehme Schwere der Münze in seiner Hosentasche.
„Golf kann eben auch unvorhersehbar sein“, sagte er in die Runde.
Hans von der Seniorenrunde nickte vom Nebentisch herüber. „Genau deswegen kommen wir doch immer wieder“, meinte er. „Wäre alles planbar, würden wir Schach spielen.“
Max musste lachen. Er war sich sicher: Die 75 würde irgendwann noch fallen. Vielleicht schon beim nächsten Mal, vielleicht auch erst in ein paar Monaten. Aber dieser Tag – mit Rosie bei der Bank, Sonny dem Ballräuber, dem Golddollar im Rough und dem spektakulären Cart-Bad – würde ihm länger in Erinnerung bleiben als so manch „perfekte“ Runde.
Während die Sonne langsam hinter den Tannen versank, dachte er zufrieden:
Ein ereignisvoller Tag. Genauso, wie Golf sein sollte.










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