Max besucht Südafrika
- thomasvonriedt
- 17. Dez.
- 7 Min. Lesezeit

Südafrika – Sonne statt Schwarzwaldschnee
Während zu Hause im Schwarzwald der Schnee hoch an den Clubhaustreppen lag und jede Fahne unter einer Eisschicht schlummerte, rollte Max, Meister des Grüns, über sattgrüne Spielbahnen in Südafrika. Er war vor dem garstigen Wetter geflohen und hatte sich in die sommerliche Wärme am Kap gerettet.
Der Platz lag leicht erhöht, zwischen Buschland und sanften Hügeln. Webervögel bauten ihre Nester in den Akazien, am Horizont flimmerte die Hitze, und der Himmel war so blau, als hätte ihn jemand frisch lackiert. Max beobachtete die Flights, die am Morgen starteten, lauschte dem satten Klang der Schläge und genoss jedes Rucken der Driving Range-Matten, wenn ein Spieler zum Schwung ansetzte.
„Ein perfekter Tag für ein Abenteuer“, dachte er zufrieden – und genau das sollte er bekommen.
Seraphina, die Giftschlange
Auf dem Weg zu einem abgelegenen Green hörte Max ein leises Zischen im Gras. Zwischen den dichten Halmen zeichnete sich eine geschmeidige Bewegung ab – eine Cape-Cobra, goldbraun, elegant und nicht eben ungefährlich. Sie hatte sich in der Sonne ausgestreckt und sah nicht so aus, als würde sie Besuch erwarten.
Viele Bälle wären panisch in die andere Richtung gerollt. Max nicht. Er glaubte an die Kraft der Neugier – und daran, dass man Hindernisse nicht nur umspielen, sondern auch verstehen konnte.
„Hallo, schöne Dame“, sagte er freundlich. „Ich bin Max, Meister des Grüns. Hoffentlich störe ich nicht?“
Die Schlange hob den Kopf, blinzelte irritiert und zischte:
„Ich bin Seraphina. Die meisten rennen schreiend weg, wenn sie mich sehen. Du rollst direkt auf mich zu. Bist du lebensmüde?“
„Nur reisefreudig“, erwiderte Max. „Ich habe den Schwarzwaldschnee gegen deine Sonne getauscht. Mein Traum ist es, den besten Golfschlag aller Zeiten zu erleben und dabei die Welt zu sehen. Was ist deiner?“
Seraphina war sichtlich überrascht. Nur selten stellte jemand einer Giftschlange Fragen zu ihren Träumen.
„Ich…“, begann sie zögernd, „ich möchte die schönsten Orte Südafrikas sehen. In der Sonne liegen, ohne dass Menschen mich gleich mit Stöcken vertreiben. Ich möchte mir nicht dauernd anhören müssen, ich sei nur gefährlich.“
Max nickte innerlich. „Kenn' ich“, dachte er. „Viele glauben auch, Golfbälle hätten kein Innenleben.“
Laut sagte er: „Dann lass uns doch eine Allianz gründen. Du zeigst mir deine geheimen Plätze, ich nehme dich mit auf meine Golfabenteuer – und wir beweisen gemeinsam, dass man sich nicht vor allem fürchten muss, was Zähne, Gift oder Dimples hat.“
Seraphina musterte ihn einen Moment lang und lächelte – soweit eine Giftschlange lächeln kann.
„Abgemacht. Aber wenn jemand auf mich tritt, bist du zuständig.“
So begann eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem wanderlustigen Golfball und einer empfindsamen Giftschlange. Seraphina glitt fortan oft im Rough nebenher, wenn Max gespielt wurde, und flüsterte ihm die besten Linien zu: „Links ist eine Termitenburg, rechts ein Stachelschwein – nimm die Mitte.“
Die Wildsau vom Bushveld
Eines Nachmittags, als die Sonne bereits tief stand und lange Schatten über das Fairway warf, hörte Max plötzlich ein wütendes Grunzen. Er blickte zurück und sah Seraphina im Staub – vor ihr ein mächtiges Warzenschwein, dessen Hauern man lieber nicht zu nahekam.
Seraphina zischte, duckte sich, schnellte wieder vor. Das Warzenschwein sprang seitlich, scharrte mit den Hufen und blies vor Zorn die Luft durch die Nüstern. Es war ein chaotischer Tanz aus Staub, Schwanzspitze und drohenden Hauern.
„Das ist keine Übung mehr“, dachte Max. „Hier geht’s um mehr als Stableford.“
Er wusste, dass er sein Gewicht von rund 45 Gramm kreativ einsetzen musste. Max wartete, bis das Tier kurz stehen blieb, holte – im übertragenen Sinne – Schwung und liess sich gezielt von einem kräftigen Wedge-Schlag eines ahnungslosen Golfers treffen. Der Schläger erwischte ihn perfekt, und Max schoss wie ein kleiner, weisser Meteor über den Boden – direkt vor die Hufe der Wildsau.
„He, grosse Sau! Hier drüben!“, rief er. „Wenn du unbedingt etwas jagen willst – jag mich, nicht Seraphina!“
Das Warzenschwein, irritiert vom plötzlichen Flugobjekt, wandte sich ihm zu. In seinen Augen lag nicht gerade Bewunderung. Es schnaubte, senkte den Kopf und stürmte los.
Seraphina nutzte die Ablenkung, um in einen Dornbusch zu fliehen, aus dem sie das Geschehen verfolgen konnte.
Max rollte, so schnell er konnte, hangabwärts – direkt in Richtung Green. Zum Glück hatte der Platzarchitekt ein tiefes Loch vor der Putting-Fläche ausgehoben – ursprünglich für einen künftigen Bunker, im Moment aber noch mit einer Plane abgedeckt. Der Rand war unter dem Gras kaum zu erkennen.
„Wenn das kein Sandloch ist, dann wenigstens eine Falle“, dachte Max und steuerte im letzten Moment knapp daran vorbei.
Die Wildsau, blind vor Wut, übersah die Kante. Mit einem überraschten Quieken rutschte sie in den Graben, riss die Plane ein und landete in einer Mischung aus Erde, Sand und ihrem eigenen Staub.
Ein Augenblick Stille – dann ein beleidigtes Schnauben aus der Tiefe.
Seraphina schlängelte sich zu Max, der schwer atmend am Rand des Greens lag.
„Du bist verrückt“, sagte sie. „Aber du hast mir das Leben gerettet.“
„Verrückt bin ich nur auf Par-5-Bahnen“, keuchte Max. „Der Rest ist Taktik.“
Sie lachten – Seraphina mit einem leisen Zischen, Max in Gedanken.
Tiger Woods betritt die Bühne
Die Geschichte von Max, dem Golfball, der eine Wildsau ausspielte, machte in Windeseile die Runde. In der Welt des Golfsports bleiben gute Geschichten selten lange ungehört. Bald hörte sie auch einer, dessen Name auf jedem Kontinent in Flüstertönen ausgesprochen wurde: Tiger Woods.
Tiger war für einen Wohlfahrtsanlass nach Südafrika gekommen. Beim Pro-Am pickte er wie immer sorgfältig seine Bälle aus. Einer davon hatte leichte Kratzer – und eine seltsam lebendige Ausstrahlung.
„Where did this one come from?“ fragte er den Caddie.
„Local hero, Sir“, meinte der Caddie grinsend. „He scared a warthog half to death.“
Tiger drehte den Ball in der Hand, betrachtete die Dimples und nickte.
„Alright, Max“, murmelte er. „Let’s see what you can do.“
Von diesem Tag an reiste Max in Tigers Bag um die Welt. Sie spielten die grossen Plätze: Augusta, St. Andrews, Pebble Beach. Max fühlte jeden Schwung, jeden Moment der Konzentration, den Tiger in ihn legte. Manchmal flüsterte er innerlich: „Nur nicht im Wasser landen“, und Tiger schien es gehört zu haben.
Während eines Turniers in Florida – mit Bunkersand, der tatsächlich an Puderzucker erinnerte – lag Max im Bag und lauschte Tigers Stimme.
„You know, buddy“, sagte Tiger halblaut, „I like you. You’ve seen wild boars, cobras and South African sunsets. Not many balls in this bag can say that.“
Max fühlte sich geehrt. Ein Ball aus dem Schwarzwald – im Bag des grössten Spielers seiner Zeit.
Seraphina und Seraphino
Während Max von einem Major zum nächsten reiste, schlängelte Seraphina durch die Weiten der Karoo. Auf einem Felsplateau traf sie eines Tages eine andere Cobra, deren Schuppen im Sonnenlicht leicht irisierten.
„Ich bin Seraphino“, stellte er sich vor. „Und du bist…?“
„Seraphina. Früher war ich Caddie für einen Golfball“, antwortete sie trocken.
Seraphino lachte. „Dann kennst du dich mit verrückten Flugbahnen aus. Komm, ich zeige dir die Schluchten hinter dem Tafelberg.“
Sie zogen gemeinsam los. Durch trockene Flussbetten, vorbei an Termitenhügeln, über Felsen, die tagsüber glühten und nachts die gespeicherte Wärme wieder ausatmeten. Seraphina erzählte von Max und den gepflegten Fairways, von Menschen, die Angst hatten, und von Menschen, die ihr neugierig begegneten. Seraphino berichtete von den Sternennächten im Karoo, in denen der Himmel so voll war, dass er überfüllt wirkte.
Mit der Zeit fanden sie einen abgelegenen Felsvorsprung, der perfekt war: warm, sicher, mit Aussicht auf ein Tal, in dem Antilopen weideten, und der Wind trug Geschichten über die Ebene.
„Hier bleiben wir“, sagte Seraphina.
„Und hier gründen wir“, ergänzte Seraphino, „den seltensten Schlangenclub der Welt: die ‚Cobras mit Handicap‘.“
So sicherten sie das Fortbestehen einer kleinen, golfinteressierten Schlangenlinie – irgendwo zwischen Fairwayträumen und Wüstensand.
Rückkehr zur Oberen Alp
Jahre später, nach einer letzten grossen Tournee, zog Tiger Woods sich langsam aus dem Turnierzirkus zurück. Eines Abends, als er seine Golftasche ausräumte, blieb seine Hand an einem Ball hängen, dessen Oberfläche von unzähligen Runden gezeichnet war.
„Time to go home, my friend“, sagte Tiger leise.
Kurz darauf lag Max wieder in einem Koffer – diesmal nicht Richtung Major, sondern Richtung Schwarzwald. Als er im Pro-Shop des GC Obere Alp aus dem Paket rollte, staunten die Angestellten nicht schlecht.
„Das ist doch…“
„…unser Max!“
Die Senioren der Oberen Alp, die ihren „verlorenen Sohn“ nie ganz vergessen hatten, nahmen ihn in einer kleinen, improvisierten Zeremonie in Empfang. Hans hielt eine kurze Ansprache, Leni wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel, Kurt murmelte etwas von „Jetzt haben wir endlich internationale Verstärkung“.
„Mit offizieller Tiger-Woods-Weihe“, ergänzte Marta und tippte respektvoll gegen Max’ Oberfläche.
Von da an war Max bei den Senioren gesetzt. Sie spielten keine Weltranglistenpunkte, aber sie spielten mit Herz. Und vielleicht war es kein Zufall, dass plötzlich mehr Pars und Birdies auf ihren Scorekarten auftauchten als sonst.
In den Pausen sassen sie im Wintergarten, tranken Tannenzäpfle, erzählten und lachten. Max lag meist in der Mitte des Tisches, zwischen Kuchengabeln und Kaffeetassen, und hörte zu, wenn die Senioren sich ihre eigenen „Major-Momente“ ins Gedächtnis riefen: der erste Abschlag über die Schlucht, das Par unter Sturm, der Putt, der „nur wegen der Mücke vorbeiging“.
Max fühlte sich daheim. Die Welt hatte ihm viel gezeigt – aber nichts war so beständig wie dieser Platz zwischen Schwarzwaldtannen und Schweizer Bergen.
Florida in Sicht?
Ob er im nächsten Jahr wieder nach Südafrika reisen würde, wusste Max noch nicht. Tiger hatte ihm viel von Florida erzählt: von Plätzen, auf denen die Bunker wirklich wie Puderzucker wirkten, und von Teichen, in denen Alligatoren lauerten, die Bälle ganz anders „recycelten“ als die Senioren in der Oberen Alp.
„Vielleicht“, dachte Max, „werde ich mir eines Tages auch das Ansehen. Aber nicht ohne seraphinische Beratung.“
Er stellte sich vor, wie Seraphina mit ihrem trockenen Humor zu den Alligatoren sagen würde:
„Finger weg von dem Ball. Der hat mehr erlebt als ihr zusammen.“
Fürs Erste aber blieb Max, Meister des Grüns, im Schwarzwald. Er rollte über vertraute Fairways, liess sich von Rosie, der Stockrose, zublinzeln, hörte Hans’ Sprichwörter und Lenis trockene Kommentare auf dem Grün.
Und wenn abends im Clubhaus jemand fragte, wie ein kleiner weisser Ball zu so grossen Geschichten komme, antwortete Max in Gedanken:
„Weil man manchmal einfach losrollen muss – nach Südafrika, zu Schlangen und Wildsäuen, zu Tiger Woods und wieder zurück. Der Rest ergibt sich unterwegs.“
Anmerkung des Autors
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind unbeabsichtigt und rein zufällig. Es gilt die Regel: Se non è vero, è ben trovato.










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