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Max, Tell und Abraham Lincoln lösen ein Problem

  • thomasvonriedt
  • 17. Dez.
  • 7 Min. Lesezeit
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Wie Donald Trump die Grenze zu Mexico befrieden könnte.


Beim dramatischen Bogenschiesswettbewerb an der Pazifikküste Floridas dachte Max nicht im Traum daran, dass er an diesem Tag gleich mit zwei Freiheitshelden zu tun haben würde: zuerst mit Wilhelm Tell – und später, im Schlaf, mit Abraham Lincoln.

 

Max, der sich selbst gern „Meister des Grüns“ nannte und sich innerlich manchmal eher als Mensch, denn als Golfball fühlte, genoss die salzige Luft, das Stimmengewirr und das dumpfe Surren der Pfeile, die Richtung Zielscheibe flogen.

 

In einer Pause stand er mit dem urigen, wortkargen Freiheitshelden aus Uri am Rand der Anlage. Wilhelm Tell trug seine Armbrust so gelassen, als wäre sie eine Einkaufstasche. Er erzählte ruhig, dass er am Morgen einen merkwürdigen Anruf erhalten habe.

 

„Ein Mann namens Donald Trump“, brummte Tell, „frisch gekürter Sieger irgendeines Caucus in Iowa. Er meinte, er sei – wie ich – ein Kämpfer für Freiheit und Nation. ‚America First‘, verstehst du.“

 

Tell zog die Augenbraue hoch. „Nur könne er im Unterschied zu mir weder mit der Armbrust umgehen noch sich beim Golf unauffällig verhalten. Da sei man ihm auf die Schliche gekommen.“

 

Max nickte. Dieses Detail war ihm nicht entgangen.

 

Trump habe beklagt, früher seien die Emigranten aus dem Osten gekommen, organisiert, mit Koffern und Papieren. Heute würde ein ganzer Kontinent südlich seiner Mauer anklopfen, so sagte er, und manche würden sogar faule Äpfel über die Grenzzäune werfen. „Die“, so habe Trump geknurrt, „kann man doch nicht einfach mit Golfschlägern zurückschlagen.“

 

„Dann“ fuhr Tell fort, „wurde es am Telefon plötzlich leiser. Er murmelte irgendetwas, als sei er gerade mit einer seiner… Privatangelegenheiten beschäftigt. Es raschelte verdächtig nach Umkleidekabine.“

Tell zuckte die Schultern. „Ich sagte ihm, wir in der Urschweiz liessen uns weder von Unterwäsche noch von fremden Frauen von der Sache ablenken. Wir nähmen’s gelassen, würden nachdenken, vielleicht einen Landammann wählen – aber sicher nicht ins Telefon schnaufen.“

 

Donald soll kurz geschnaubt, ihn verärgert „Swiss Boy“ genannt und aufgelegt haben.

 

Max schnaubte innerlich. Was für ein Einfaltspinsel, dachte er. Dabei ist es doch so einfach: erst Tee trinken, dann die Mietpreise erhöhen und zum Schluss Fondue zur Pflicht machen. Das hält jeden Fremden ab – und die Einheimischen gleich mit.

 

Laut sagte er nur: „Wilhelm, ich verspreche dir: Wenn ich zurück in den Staaten bin und wieder auf meinem Lieblingsplatz in Tennessee spiele, denke ich mir etwas Besseres aus. Etwas, das ohne Armbrüste, aber nicht ohne Humor auskommt.“

 

Einige Wochen später sass Max in einem A340 der Swiss auf dem Weg nach Washington. Draussen kroch der Atlantik unter der Tragfläche vorbei, drinnen roch es nach Kaffee und aufgebackenen Brötchen. Max blätterte lustlos in der Bordzeitschrift.

 

In Washington würde er in eine deutlich ältere Maschine von Delta nach Charlotte umsteigen, dort eine Nacht im Sheraton am Flughafen verbringen und am nächsten Tag mit einem viel zu grossen Dodge Durango durch die Hügelzüge der Appalachen zum Rarity Bay Golfplatz am Lake Tellico fahren. „Hier ist Amerika noch Amerika“, hatte ihm ein Freund versprochen. „Da gilt das Gesetz der Stärke – und der Länge des Abschlags.“

 

Im Sheraton gönnte sich Max ein Steak, das locker eine vierköpfige Familie ernährt hätte: aussen perfekt gegrillt, innen zartrosa, dazu eine rauchige BBQ-Sauce und ein Bier aus der Old Mecklenburg Brewery. Er fühlte sich, als sei er in einer Werbebroschüre für „echten amerikanischen Genuss“ gelandet.

 

Zum Abschluss bestellte er sich trotzig eine „Swiss Miss“ – heisse Schokolade aus der Tüte, mit Schaumschicht, die mehr nach Chemie als nach Alpen schmeckte. „Wenn schon Klischee, dann richtig“, murmelte er.

 

Später lag er in einem King-Size-Bett, das grösser war als sein Wohnzimmer in Europa. Die Klimaanlage schnurrte, seine Kehle war trocken, und noch bevor er sich nach dem Wasserglas strecken konnte, schlief er ein.

 

Er träumte von Savannah. Die Stadt lag im milden Frühlingslicht, die Live Oaks trugen ihr erstes grünes Kleid, und spanisches Moos hing wie alte Geschichten von den Ästen. In den Parks plätscherten Brunnen, und die Luft roch nach Salz, Zucker und ein bisschen Vergangenheit.

 

Obwohl das Wetter es erlaubte, draussen zu sitzen, klebten die meisten Amerikaner in klimatisierten Innenräumen. Eigentlich schade, dachte Max. Hier könnte man doch wie ein Southern Gentleman auf der Veranda sitzen und ein Zigarillo rauchen – rein aus stilistischen Gründen.

 

Er sah den üppigen Amerikanerinnen nach, die in figurbetonten Jeggins bunte Milchshakes schlürften und lachten, als gehörte der Frühling ihnen allein. Es wirkte gleichzeitig lebendig und leicht grotesk – wie Amerika eben.

 

Schliesslich erreichte er sein Ziel: das Olde Pink House in der Abercron Street, ein koloniales Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, in zartem Rosa gestrichen und von Efeu umrankt. Wenn irgendwo ein Geist der Geschichte wohnt, dann hier, dachte Max.

 

„Hallo, Mr. Max, und willkommen“, begrüsste ihn der Rezeptionist in Gelb-schwarzer Livree. „Mr. Lincoln wartet bereits im Herrensalon.“

 

Max blinzelte. Na, wenn das keine Ansage ist. Plötzlich kam sich der „Meister des Grüns“ sehr klein vor. Er straffte sich, folgte dem Empfangschef über gebohnertes Parkett durch schmale Gänge und fragte sich, ob man einem ermordeten Präsidenten der Vereinigten Staaten die Hand gibt oder sich tief verbeugt.

 

Im Herrensalon war es dämmrig, Holz und Leder dominierten, an den Wänden hingen Gemälde vergangener Schlachten.

Und da stand er: Abraham Lincoln, gross und schlaksig, im schwarzen Anzug, mit unvermeidlichem Zylinder. Er erhob sich aus einem Fauteuil und sagte mit sonorer Stimme:

 

„Hier kommt unser Ehrengast aus dem Land der Freiheit und direkten Demokratie. Sei willkommen, Max.“

 

Max spürte, wie seine Wangen warm wurden. „Sehr erfreut, Mr. President“, brachte er hervor und sank auf den angebotenen Sessel. Aus dem Augenwinkel bemerkte er die Anwesenheit diverser Herren und Damen – Richterroben, Uniformen, moderne Businessanzüge; eine bunte Mischung aus Ständen, Ethnien und Geschlechtern, die schweigend zusahen.

 

Lincoln lächelte. „Nun, mein Freund, wie geht es meinem alten Kollegen Wilhelm Tell? Ich habe gehört, der orangefarbene New Yorker habe ihn angerufen, um sich Rat in Sachen Nationengestaltung zu holen. Er sei auf die Idee verfallen, über die Grenze geworfene Äpfel mit gezieltem Armbrustfeuer zu stoppen.“

 

Lincoln schüttelte den Kopf. „Hätte ich zu meiner Zeit als 16. Präsident der USA solche Flausen im Kopf gehabt, man hätte mich nie zu einer Wahl zugelassen – nicht einmal in der hintersten County.“

 

Ein leises Kichern ging durch die Runde.

 

„Als Republikaner“, fuhr Lincoln fort, „sollte er sich auf edlere Ziele konzentrieren und seine privaten Eskapaden diskreter handhaben. Kein Präsident war jemals ohne Fehl und Tadel, auch ich nicht. Die Geschichte weiss, dass mein Ende im Theater alles andere als glorreich sein wird. Aber man sollte sich wenigstens bemühen, die eigenen Schlagzeilen nicht selbst zu schreiben.“

 

Er sah Max prüfend an. „Was meinen Sie, Max? Was tun wir mit diesem ehrgeizigen Geschäftsmann? Welche Aufgabe könnten wir ihm geben, die weder Bürgerkrieg noch Mauern erfordert?“

 

Max räusperte sich. Vor ihm stand Abraham Lincoln, hinter ihm eine unsichtbare Galerie von Geschichtsbüchern – und er sollte die Lösung liefern. Nur ruhig bleiben, dachte er. Du bist der Meister des Grüns. Notfalls machst du aus allem ein Golfproblem.

 

„Mister President, lieber Abe“, begann er, „Gewalt war noch nie eine taugliche Antwort – weder mit Armbrust noch mit Mauer. Die alten Griechen hätten wahrscheinlich eine pragmatische, kostengünstige Lösung gefunden. Mein Vorschlag: Wir holen Mr. Trump dorthin, wo er sich wirklich zu Hause fühlt – auf den Platz.“

 

Lincoln legte den Kopf schief. „Sie meinen… Golf?“

 

„Genau“, sagte Max. „Engagieren wir ihn als Tester für superpräzise Callaway-Wedges – und selbstverständlich auch für andere amerikanische Marken. Diese Schläger könnte er täglich an der mexikanischen Grenze einsetzen, um die vielen südamerikanischen Äpfel, bevor sie auf US-Territorium verfaulen, mit gekonnten Flop Shots zurück über seine Mauer zu spielen.“

 

Ein Murmeln ging durch die Runde. Jemand konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

 

Max war jetzt in Fahrt. „Wir verpachten ihm den Streifen Land vor der Mauer. Er kann seine unternehmerischen Fähigkeiten beweisen und das Ödland in gepflegte Fairways verwandeln: ‚Trump Border Golf Links – Where Freedom Takes a Swing‘. In die Mauer bauen wir Panoramafenster mit automatischen Rollläden. An jedem Guckloch gibt es einen Münzeinwurf, damit die Leute auf der Südseite für ein paar Pesos die ‚Flop Shot Golf World Championships‘ verfolgen können.

 

Die Regierungen teilen sich die Einnahmen, um echte Integrationsprogramme zu finanzieren. Niemand kann Trump mangelnden Patriotismus vorwerfen – er testet ja amerikanische Schläger – und sein Ego ist so beschäftigt, dass er gar keine Zeit hat, sich wieder zur Wahl zu stellen. Die Nation könnte in Ruhe jüngere Kandidatinnen und Kandidaten auswählen – republikanische wie demokratische.“

 

Einen Moment war es still. Dann lachte Abraham Lincoln laut auf, ein warmes, tiefes Lachen, das durch den Salon rollte. Die Anwesenden klatschten, einige pfiffen sogar anerkennend.

 

„Mein Respekt, Max“, erklärte Lincoln vergnügt. „Ihr Schweizer seid wirklich Meister im Brückenschlagen – zwischen Ökonomie, Satire und Golfplatzarchitektur. Eine Lösung, bei der niemand erschossen wird, ist mir von Natur aus sympathisch.“

 

Er trat auf Max zu, reichte ihm die Hand, und beide verbeugten sich vor dem applaudierenden Publikum.

 

In diesem Moment schlug irgendwo eine Standuhr sechs Mal. Das Geräusch wandelte sich in ein penetrantes Klingeln, und Max rieb sich die Augen. Es war nicht 6:00 p.m. im Herrensalon, sondern 6:00 a.m. im Sheraton Charlotte-Airport. Sein iPhone vibrierte nachdrücklich auf dem Nachttisch, die Klimaanlage blies trockene Luft durch den Raum.

 

Mit staubiger Kehle tastete Max nach dem Wasserglas und griff dann noch einmal zum Handy. Er öffnete die Notizen-App und tippte verschlafen:

 

„Projekt: Flop Shot Golf Border Solution – nur im äussersten Notfall der Menschheit anbieten.“

 

Er grinste. Vielleicht war es besser, wenn diese Idee vorerst im Land der Träume blieb. Aber ganz tief in ihm, dort, wo sein innerer Golfball wohnte, dachte er: Etwas weniger Mauer und etwas mehr Fairway – schaden würde es der Welt nicht.


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