«Sölli Dir dä Thek träge»? Als "wischen" noch nicht nötig war.
- thomasvonriedt
- 17. Dez.
- 4 Min. Lesezeit

Gedanken zur Suche nach dem richtigen Partner
Suchst du auf Parship, bist du auf ElitePartner unterwegs – oder wischst du auf Tinder nach links und rechts?
Singlesein ist heute eine Herausforderung – nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Jugendliche. Facebook ist bei der Jugend längst out; dort tummeln sich inzwischen die Eltern mit ihren Selfies. Zum Glück – oder Unglück – gibt es unzählige Apps, die es ermöglichen, sich mehr oder weniger anonym zu vernetzen. Der permanente Stress, laufend auf mehr oder weniger intelligente Nachrichten zu reagieren, kann allerdings ganz schön anstrengend werden.
Die neuesten Social-Media-Plattformen zeigen sogar an, wer sich gerade in deiner Nähe befindet. Statt Pokémon zu jagen, gehen moderne Teenager auf die Suche nach ihrem Traumpartner. Es braucht Mut, jemanden, den man nur von der Stimme oder ein paar Bildern her kennt, zu einem Treffen einzuladen. Man erkennt sich dann an einer Zeitung, einer Rose oder einem anderen vereinbarten Zeichen.
Der Vorfall mit der Zeitung ist tatsächlich so passiert: Die betörende Stimme am Telefon, eine Mitarbeiterin einer Zürcher Elektrofirma, erwies sich im echten Leben als bei Weitem weniger betörend. Die Zeitung landete im nächsten Mülleimer, und Romeo trat diskret den Rückzug an.
Ähnlich mutig finde ich Menschen, die sich auf «Blind Dates» oder «Speed Dating» einlassen. Man sitzt mit lauter Unbekannten in einem Raum, spricht ein paar Minuten mit Person A, rückt dann an den nächsten Tisch zu Person B, C und so weiter. Ich bin sicher: Von zwanzig Kandidatinnen und Kandidaten gehen die meisten nach so einem Abend eher ernüchtert nach Hause. Mir fehlt dabei das Feuer, die Romantik – das hat wenig von Romeo und Julia. Früher schien alles einfacher zu sein.
Die Zeit des Schreibens
Ich denke an die Zeit vor Handy und PC zurück, als handgeschriebene Briefe der Königsweg der Kontaktaufnahme waren. Entweder blieb die eigene »Bewerbung« unbeantwortet, oder der Absender erhielt eine verheissungsvolle Antwort. Manchmal war der Brief mit einem Hauch Parfüm besprüht – ein stilles Signal von ganz besonderem Interesse.
Diese Botschaften kamen entweder klassisch per Post oder wurden diskret über einen Vertrauensboten weitergereicht. Nicht selten wanderte ein Zettel heimlich in eine Jackentasche; dafür musste jemand das Klassenzimmer «wegen eines dringenden Auftrags» kurz verlassen. Manchmal erhielt derselbe Empfänger Liebesbriefe von verschiedenen Seiten. Und manchmal landeten die Briefe in der falschen Tasche. Dann wusste die halbe Schule Bescheid – nur der Absender nicht.
Mich faszinierten damals diese Einladungen, bei denen man ankreuzen konnte: «Ja», «Vielleicht» oder «Später». Fast so präzise wie eine SMS – nur mit deutlich mehr Herzklopfen verbunden.
Ob jung oder alt: Sich dem anderen Geschlecht zu nähern war schon immer eine heikle Übung. Erobern oder erobert werden verlangte nach Vorbereitung. Und trotzdem erscheint mir der direkte Weg noch heute als der beste. Sich zu sehr auf technische Hilfsmittel zu verlassen, wirkt unsicher, kostet Zeit – und kann doppelt frustrierend sein, wenn am Ende doch eine Absage steht.
Zurück zu «Ich Tarzan – du Jane» wird heute wohl eher schief angeschaut. Aber die Idee dahinter bleibt gültig: Direkt ist oft am ehrlichsten.
Beispiel
Eine der charmantesten Formen der Annäherung steckt in einem einfachen Satz:
«Darf ich dir deine Schultasche tragen?»
In diesem Satz steckt – überspitzt gesagt – eine Urkraft aus drei Millionen Jahren Evolution: Familiensinn, Fürsorgebereitschaft und das stille Versprechen von Schutz und Stärke. Selbst wenn ein Achtjähriger diese Frage stellt, klingt sie unschuldig und liebenswert – und wird von seinem Schwarm doch sofort verstanden.
Auch für das sogenannte «schwache Geschlecht» (das in Wahrheit meist das stärkere Nervenkostüm hat) spielt diese evolutionäre Prägung eine Rolle.
Zurück zur Schultasche, zum «Thek»:
Es gab sie in braunem, rotem oder blauem Leder. Mädchen mit roten Lederranzen galten als besonders attraktiv, jene mit blauen eher als unnahbar. Wer mit einem schlichten braunen Ranzen unterwegs war, lief Gefahr, kaum beachtet zu werden. Ein Romeo, der mit einem brandneuen, makellosen Lederranzen imponieren wollte, galt schnell als uncool.
Gefragt waren Theks mit Rinderfell; wer gar Seehundfell vorweisen konnte, war der Star des Pausenplatzes. Reflektoren wie heute gab es noch nicht, dafür waren die Ranzen stabil genug, um als Fussballtor herzuhalten. Je mehr Kratzer und Gebrauchsspuren, desto besser. Und eines darf man nicht vergessen: So ein bis obenhin gefüllter Ranzen mit Büchern und Heften konnte unendlich schwer sein.
«Darf ich dir deine Schultasche tragen?» hiess also oft:
Kilometerweit mit einem überladenen Thek marschieren – um am Ende vielleicht doch abgewiesen zu werden. Dazu kam der Spott der Klassenkameraden, die einen gern als «Wiiberschmöcker» bezeichneten. Risiken gehören nun einmal dazu, wenn man sich auf das Abenteuer Liebe einlässt.
Wenn die Angebetete mit geflochtenen Zöpfen als das schönste Mädchen der Klasse galten, gab es für Romeo kein Halten mehr. War die Flamme einmal entfacht, waren alle Hindernisse zweitrangig. Der mögliche Lohn: ein strahlendes Lächeln, ein Nachmittag bei ihr zu Hause – und vielleicht ein schüchterner Kuss zum Abschied mit den magischen Worten: «Du darfst wieder kommen.» Ganz zu schweigen vom Neid der anderen Jungs.
In solchen Momenten brannte das Feuer in Romeos Herz lichterloh. Und er wäre bereit gewesen, die Schultasche bis ans Ende der Welt zu tragen. Ein einfacher Satz, eine unschuldige Liebeserklärung – und eine Erinnerung, die Romeo und Julia ein Leben lang begleitet.
Die Frage bleibt:
Wird die Ära der Digitalisierung ebenso leidenschaftliche Liebesgeschichten hervorbringen?
Romeo jedenfalls sah seine Julia anlässlich eines Klassentreffens Jahrzehnte später wieder – und allein die Erinnerung liess sein Herz noch einmal warm werden.
Konklusion
Es kommt, wie es kommen muss – und der Faktor Zeit spielt am Ende eine geringere Rolle, als wir denken. Romeo hat das erkannt und die für ihn richtige Strategie gewählt.
Ist Julia in derselben Situation, wird sie wahrscheinlich nicht den Ranzen tragen wollen – aber sie wird Romeo beim Sport bewundern, ihm Selbstgebackenes oder ein Freundschaftsbändeli mitbringen und dazu den passenden Augenaufschlag einsetzen, der mehr verspricht als tausend Worte.
Julia muss «nur» die Psyche der Romeos dieser Welt verstehen. Dann kommt es meistens genauso, wie es soll.










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