After Dark - Buddys grosse Liebe
- thomasvonriedt
- 16. Dez.
- 5 Min. Lesezeit

Eine schwüle, gefährliche Sehnsucht
Salma Hayek war für Buddy kein Star – sie war Religion.
Diese Frau hatte mehr Gravitation als der Mond. Ihre Bewegungen, ihr Blick, der Tanz mit der Schlange – jeder Frame aus From Dusk till Dawn war ein Bekenntnis. Buddy spielte die Szene Nacht für Nacht ab. „After Dark“ drehte sich auf dem Plattenspieler, bis die Nadel kratzte. Er schloss die Augen. Sah sie kommen. Langsam. Hüften wie Versprechen, Haut wie Sünde.
Wenn Sehnsucht Fleisch trägt, dachte er, sieht sie so aus.
Buddy wohnte in einem Reihenhaus an der W. Dak Ave, Glen Ullin, North Dakota. Mitte vierzig. Allein. Mehr Vergangenheit als Zukunft. Tagsüber bediente er einen Bagger, der die Erde frisst, als wolle sie sich selbst verschlingen. Acht Stunden Staub und Öl, kein Gespräch, kein Lachen. Nur das Rattern des Förderbands und Joe im Funkgerät, der brüllte: „Schaufeln, Buddy! Nicht träumen!“
Aber Träume halten länger als Schichten. An der Frontscheibe seiner Kabine klebte Salma. Ihr Lächeln war alles, was er noch glaubte. Manchmal meinte er, sie zwinkere. Einsamkeit ist ein Schleifstein, dachte er, und der Kopf wird irgendwann stumpf. Letztes Jahr war ein Rigger in die Grube gesprungen. Kopfüber. Salutiert. Tot.
Man sagt, er habe in den Abgrund gelacht.
Ein Fremder
Mittwoch war Docs Saloon and Grill. Neonlicht, Bier, altes Holz. Drei Blocks von zu Hause, drei Flaschen Fargo bis zur Betäubung. Ein Blick auf Cindy, die Bardame mit dem Lächeln für alle und keinem. CNN flackerte, drüben liefen die Bismarck Bucks. „Go Bucks, Go!“ Buddy nippte. Und dachte an Salma.
Dann kam der Alte. Setzte sich neben ihn. Kaffeetasse, Unterteller, ein dumpfer Klang wie ein Tritt in die Erinnerung.
„Howdy“, sagte der Mann.
Ein Yanktonai – Haut wie getrocknetes Leder, Augen so alt, dass man darin das Wetter lesen konnte.
„Howdy“, sagte Buddy. „Was verschlägt dich nach Glen Ullin?“ Fremde hielten sich hier nicht lange auf. Die Stadt mochte keine Überraschungen.
„Wie geht’s deiner Salma?“ fragte der Alte, leise und ohne Lächeln.
Buddy erstarrte.
„Was?“
„Du träumst sie. Du rufst sie. Ich höre das.“
„Woher zum Teufel weisst du das?“
„Ich bin Schamane“, sagte der Mann ruhig. „Ich sehe, was du verlierst, und was dich sucht.“
Buddy sah ihn an: Zopf, Federn, Tierzähne, Silber mit Zeichen, die sich bewegten, wenn man sie zu lange ansah. Um sein Handgelenk Schlangenhaut. Er erinnerte sich an Geschichten, in denen Männer den Regen riefen – und manchmal etwas anderes kam. Draussen heulte Wind über das flache Land. Im Fernsehen schrie ein Quarterback etwas von Hoffnung.
Angebot
Buddy erzählte. Von Salma. Von Vampiren. Von Clooney und Autowracks und dieser letzten Szene im Sonnenaufgang.
„Nur Kino“, sagte er. „Aber irgendwas daran stimmt.“
Der Alte nickte.
„Hast du alles gegeben, Buddy? Selbst dein Leben?“
„Wenn’s sein muss.“
„Dann höre gut zu.“
Er legte eine Wurzel auf den Tresen. Schrumpelig, hell, pulsierend.
„Setz sie in Prärieerde. Giess sie. Sprich das hier:
Salma, Salma, du mein Herz,
Du meines Lebens grösster Schmerz.
Komm, befreie mich von Pein,
Liebe mich und sei ganz mein.
Komm zu mir, sei’s abgemacht,
Bleib’ bei mir die ganze Nacht.
Aber – wenn sie kommt, sieh ihr nicht in die Augen. Nicht eine Sekunde. Verstanden?“
„Was passiert, wenn ich’s tue?“
„Dann wirst du’s nie wieder anders wollen.“
Der Alte nahm seine Tasse, trank den letzten Schluck und verschwand in den Rauch vor der Tür. Hinter ihm blieb Stille – und ein Geruch nach Eisen und Erde.
Wurzel
Buddy trank zu viel. Schlief schlecht. Am Morgen: Aspirin, Kaffee, Kälte. In der Küche hing Salma. Er grüsste sie, als wäre sie echt.
„War nur ein Traum“, murmelte er.
In der Jacke fand er die Wurzel. Schrumpelig, geformt wie ein Mensch, der auf Hilfe wartet.
Der Tag war grau wie Beton. Bagger, Schiefer, Band, Stempel, Feierabend. Zu Hause suchte er einen Topf. Keine Erde. „Erde ist Erde“, sagte er.
Im Gartencenter roch es nach Dünger und Hoffnung. Cindy stand an der Kasse.
„Prärieerde?“, fragte sie.
„Schwarz. Fein. Lebendig.“
„Das hier ist gut. Macht Dinge wachsen, die besser klein bleiben sollten“, grinste sie. Buddy lächelte nicht.
Zu Hause füllte er den Topf, setzte die Wurzel ein, goss sie, sprach die Worte.
„Bleib bei mir die ganze Nacht.“
Nichts geschah. Kein Donner, kein Zeichen. Nur das Summen des Kühlschranks. Er trank noch ein Fargo und starrte ins Nichts.
„Verdammter Schwindler“, knurrte er. „Ein Trick für ein Bier.“
Um elf ging er schlafen. Das Bett war zu gross für Träume.
Traum
Sie kam ohne Geräusch.
„Buddy“, hauchte sie.
Haut wie Hitze. Hände wie Musik. Sie ritt über ihn wie der Sommer über das Land. Er wollte sprechen, aber sie verschloss seinen Mund mit ihren Lippen. Kein Wort. Nur Atem. Und Dunkelheit.
Als der Wecker kreischte, lag er nass geschwitzt im zerwühlten Bett. Ein Duft hing in der Luft – süss, fremd, gefährlich.
„Unmöglich“, murmelte er.
Im Spiegel: dunkle Ringe, fahle Haut, Augen wie aus der Mine.
„Nur ein Traum“, sagte er und glaubte es nicht.
Auf der Arbeit mieden ihn die Kollegen. „Rauhe Nacht gehabt?“, grinste Joe.
Buddy schwieg. Er hatte Angst, dass ein Wort zu viel die Wahrheit verraten würde.
Wiederholung
Abends Country Music, leeres Haus. Cindy aus dem Radio, nicht aus Fleisch. Auf dem Fensterbrett – die Wurzel. Sie hatte ein Blatt. Und sah… lebendig aus. Er goss sie. Sprach die Worte. Routine ist der Trost der Verlorenen. Dann wieder Bier, Fernsehen und abermals Schlaf.
Aber diesmal kam sie schneller.
„Buddy“, flüsterte sie.
Zärtlich, fordernd, süss wie Gift. Er schloss die Augen. Rief nicht nach Gott. Was sollte der hier schon tun.
Am Morgen: Kopfschmerz. Müdigkeit.
„Du siehst aus wie ein Gespenst“, sagte Andy auf der Arbeit.
„Vielleicht bin ich eins“, antwortete Buddy.
Und zum ersten Mal klang das nicht wie ein Witz.
Pflanzenwuchs
Abends stand die Pflanze stolz da. Die Rinde glatt, ein feuchtes Glänzen auf der Oberfläche. Buddy goss sie und rezitierte die Worte wie ein Gebet. Dann setzte er sich vor den Fernseher. Martin Sheen jagte Gangster, während draussen der Wind die Mülltonnen drehte.
Nach zehn: Schritte im Flur. Klack, Klack. High Heels auf Linoleum. Er griff nach der Flasche. Die Tür öffnete sich. Salma trat ein. Haut wie Nacht. Augen wie Gefahr.
„Buddy“, hauchte sie. „Ich bin hier.“
Er stürzte nach vorn, riss fast die Pflanze um. Auf einem Ast hing etwas Neues – silbern, glänzend, rund. Eine Frucht. Pulsierend. Dann war sie da. Er fiel in sie hinein wie ein Mann in sein eigenes Grab. Sie liebte ihn. Oder frass ihn. Er wusste den Unterschied nicht. Er wollte ihn auch nicht wissen. Und als sie die Augen öffnete, sah er es – gespaltene Pupillen, tief wie Verdammnis.
Ein Kuss, und seine Wärme verliess ihn. Ein letzter Laut, dann Stille. Im Topf färbte sich die Frucht rot.
Rot wie Erinnerung. Rot wie Schuld.
Epilog
Morgengrauen über Glen Ullin. Sheriff Joe Hancock stand vor dem Haus an der W. Dak Ave.
„Verdammt“, sagte er, „es riecht nach Parfum und Tod.“
Sein Deputy, ein junger Bursche mit zu frischer Uniform, nickte stumm. Im Schlafzimmer lag Buddy. Blass. Leer. Lächelnd. So, als hätte er gewonnen, indem er verlor.
In der Küche tropfte etwas Rotes aus einer Frucht in einem Blumentopf. Der Saft roch nach Eisen.
„Was haben wir hier, Joe?“, fragte der Deputy.
Hancock zog an seiner Zigarette. Der Rauch kringelte sich träge.
„Ein Mann mit grossem Traum und leerem Körper“, sagte er.
„Eine Pflanze, die blutet. Und ein Lied, das keiner mehr hören will.“
Er trat näher an den CD-Player. „After Dark“ lief in Endlosschleife.
„Schalte das ab“, murmelte er. „Ich habe reichlich Romantik für ein Leben gesehen.“
Der Deputy würgte, drehte den Regler. Stille. Nur Tropfen.
„Verdammt, Sheriff. Was soll das sein?“
Hancock sah ihn lange an.
„Lass es. Manche Fragen wollen keine Antwort.“
Er klopfte seine Zigarette ab.
„Schreib’s so: Unbekannte Todesursache. Fall ruht. Opfer lächelte.“
Später, im Asservatenraum, war die Pflanze verschwunden. Ein alter Mann mit grauem Zopf war kurz zuvor im Gebäude gesehen worden. Niemand fragte nach seinem Namen.
Manche Geschichten wissen, wann sie enden müssen.










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