Rosenrausch - Ewige Liebe
- thomasvonriedt
- 16. Dez.
- 3 Min. Lesezeit

Rosenzucht
Rainer, im Viertel als ruhiger Nachbar bekannt, widmete seine ganze Leidenschaft dem Rosengarten. Tag für Tag stand er zwischen den Beeten, umsorgte liebevoll jede Pflanze, schnitt behutsam überflüssige Zweige und verwelkte Blüten weg, damit sich die Kraft ganz auf die prächtigsten Blütenköpfe konzentrieren konnte.
Der betörende Duft seiner Rosen weckte in ihm Illusionen und liess ihn von Unerfülltem träumen.
Rosen, so hatte er gelesen, besitzen über 450 bekannte Duftkomponenten, deren einziger Zweck die Anziehung bestäubender Insekten ist. Selbst die Farbe Rot, für Bienen unsichtbar, konnte sie dank dieses Duftes locken.
Oft dachte Rainer wehmütig daran, wie anders sein Leben wohl wäre, könnte er nur wie seine Rosen duften.
Rosentraum
Heimlich nannte er sie Alice, obwohl sie in Wahrheit Marlene hiess und bei der Post arbeitete. Sie war jung, grazil, mit dunklem Haar, das im Sonnenlicht rötlich schimmerte. Selbst in ihrer unförmigen Postuniform, unter dem Helm, war die Anmut ihrer Gestalt nicht zu übersehen.
Ihre fröhliche, verlässliche Art machte sie beliebt; viele sahen ihr nach, wenn sie Briefkasten um Briefkasten befüllte.
Wer genau hinsah, entdeckte das zarte Rosen-Tattoo an ihrem Knöchel – ein feines Kunstwerk aus grünen Stielen und einem leuchtend roten Blütenkopf.
Für Rainer war es ein geheimes Zeichen, eine stille Verbindung zwischen ihnen – auch wenn er noch nicht wusste, wie er diese Verbindung jemals nutzen sollte.
Rosenduft
Lange grübelte Rainer, wie er Alices Herz gewinnen könnte. Ihre Liebe zu Rosen schien ihm der Schlüssel zu sein. Er erinnerte sich daran, wie schon im Altertum der betörende Duft dunkelroter Rosen die Herzen der Damen eroberte. In Grasse, der Stadt der Düfte, hatten Parfümeure daraus eine Kunst gemacht – Düfte für jede Jahreszeit, jedes Gefühl, jedes Geheimnis.
Beim Nachdenken kam ihm Das Parfum von Patrick Süskind in den Sinn. Zwar nahm Jean-Baptiste Grenouilles Geschichte ein grausiges Ende, doch sie zeigte eindrücklich, wie mächtig Gerüche das menschliche Verhalten beeinflussen konnten.
Während Frauen ihre Auserwählten mit Eau de Toilette verführten, versuchten Männer es mit duftenden Rosensträussen.
Alice liebte Rosen – das verriet ihr Tattoo, ihre Bewunderung für seinen Garten und die Art, wie sie jedes Mal an den Blüten schnupperte, bevor sie weiterfuhr.
Rainer war überzeugt: Der Schlüssel zu ihrem Herzen lag im Duft der Baccara-Rosen.
Rosenkönig
Rainer beschloss, sich der Herstellung eines besonderen Rosenwassers zu widmen. Er träumte davon, täglich darin zu baden, bis der Duft der Baccara-Rosen zu seinem eigenen werden würde.
In seinem Garten züchtete er verschiedene Sorten, darunter auch die von Francis Meilland in den 1950er-Jahren erschaffene Edelrose. Wochenlang experimentierte er: Er kochte Rosenblätter in duftenden Lotionen, mischte gehackte Stiele und Stacheln dazu – doch der Erfolg blieb aus. Der Duft verflog stets zu schnell.
Eines Abends, während der Rosenduft schwer in der Luft hing, meinte er, eine Stimme zu hören – Laurin, den sagenhaften König des Rosengartens.
„Backe kleine Kekse mit deinem Gebräu“, flüsterte die Stimme, „sie werden Wunder wirken.“
Rainer, halb belustigt, halb verzweifelt, beschloss, den Rat zu befolgen.
Rosentod
„Alice – äh, ich meine, Marlene, komm doch her!“, rief Rainer, als sie gerade Post verteilte. „Mach eine Pause im Garten, ich habe Tee und besondere Plätzchen.“
Sie lächelte, stellte ihr Fahrrad ab und setzte sich zu ihm. Sie knabberten an den rasen-aromatisierten Keksen, tranken Tee, plauderten.
Rainer, betört vom Duft und ihrer Nähe, spürte, wie sich etwas in ihm veränderte. Seine Arme überzog ein grünlicher Flaum, aus dem kleine Blätter und Stacheln sprossen. Alice schlang ihre Arme um ihn, ihre Beine umschlangen die seinen.
Langsam verwandelten sie sich in einen einzigen Rosenstrauch. Die Blüten ihres Haares umrahmten ihr Gesicht wie ein Feuerkranz.
Rainer wusste, sie waren nun für immer vereint.
Rosenewigkeit
Am Freitag beschwerte sich Nachbar Müller beim Postbüro über die ausbleibende Zustellung. Niemand wusste, wo Marlene war; auch sie hatte sich nicht gemeldet.
Besorgt machte Müller sich auf den Weg zu Rainer, dem träumerischen Nachbarn. Als er das Gartentor öffnete, bemerkte er, dass die Montagszeitung noch immer im Briefkasten steckte und die Haustür nur angelehnt war – ganz untypisch für Rainer.
Neben der Gartenbank, nahe dem Eingang, standen ein Teller mit Gebäckresten, eine Teekanne und zwei leere Tassen. Die Bank selbst war überwuchert von einer dunkelroten Baccara-Rose und einer unscheinbaren rosa Wildrose, die sich eng umschlungen hatten.
Der betörende Duft der Blüten war beinahe überwältigend. Es gab keinen Hinweis darauf, was hier vor wenigen Tagen geschehen war.
„Rainer wird sicher nichts dagegen haben – und Greta wird sich über die Rosen freuen“, murmelte Müller, zog sein Taschenmesser und begann, einige Baccara-Rosen zu schneiden.
Dass dabei einige Tropfen wie Blutperlen vom Stängel über das Laub rollten und ein leises Seufzen der Wildrose in der Luft lag, bemerkte er nicht.










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