Ohne Schweiss kein Preis - die Leiden eines Seniors
- thomasvonriedt
- 17. Dez.
- 5 Min. Lesezeit

Kennst du die Situation?
Die “Dry January”- oder “Veganuary”-Phase – oder was auch immer sich Gesundheits-Influencer gerade ausdenken, um den typischen Genuss-Golfer zu peinigen – neigt sich dem Ende zu.
Mit dem trockenen Januar kommt er klar. Schwieriger ist da schon die vermehrte Zufuhr an Ballaststoffen, die den natürlichen Ausstoss an Methangasen fördert und den CO₂-Gehalt der Umgebungsluft eher erhöht als senkt. Gleichzeitig werden Ersatzgelüste freigesetzt, die sich vorzugsweise in “Hüftgold” verwandeln möchten. Doch auch diese schwierige Phase weiss der Senior-Golfer zu meistern.
Natürlich kann er nicht schon wieder sein angeblich schlechtes Gehör als Ausrede bemühen. Seine liebe Ehefrau wird nicht müde, ihn auf die gesundheitlichen Konsequenzen seines Lebensstils hinzuweisen. Also zeigt er ein wenig Interesse für ihre Sorgen. Er stellt sich vor den Spiegel und erkennt, dass der einst französische Luxuskörper in den letzten Jahrzehnten etwas gelitten hat. Es muss nicht gleich eine Arnie-Figur werden, aber Bauch und Hüftpolster könnten durchaus etwas schmelzen. Das kostet zwar Energie und ein Abo im Fitnessstudio, dafür aber spart er die Kosten für neue, grössere Kleidung.
Der Golfer meldet sich also im “Gruselkabinett” der Körper-Trimmer an und vereinbart einen Termin für das erste Gespräch. „Ich dachte, ich soll trainieren und nicht gesundheitserzieherische Gespräche führen“, brummelt er vor sich hin. Ihm graut schon vor der Vorstellung, dass ihn dort nur wohlproportionierte Menschen in aktueller Fitness-Mode erwarten, die über Ernährungstrends dozieren.
Er bereitet sich vor, schlüpft in ein paar alte Sportsocken, ein adidas-Sportshirt und eine Sporthose. Darüber zieht er den bewährten Tchibo-Trainingsanzug, an die Füsse die neulich erstandenen Adiletten. „Du brauchst noch ein paar Turnschuhe“, ruft sie ihm hinterher. „Natürlich, natürlich“, murmelt er, stopft ein Paar gebrauchte Roger-Federer-Sneaker in die Tasche und macht sich auf den Weg.
„Schön, dich bei uns begrüssen zu dürfen. Was darf ich dir anbieten?“
Wäre es nicht morgens um 7:45 Uhr gewesen, hätte er vermutlich geantwortet: „Ein Bierchen wäre ganz nett.“ So wird es ein isotonisches Getränk mit Waldbeerengeschmack – einen Versuch ist es wert.
Dann geht es los. Fragebogen um Fragebogen ist gemeinsam auszufüllen. „Wie schwer sind Sie? Nehmen Sie Medikamente? Wenn ja, welche und wie viele? Gibt es körperliche Einschränkungen?“ Welche meint er denn bloss alle? „Was ist Ihr Ziel, was möchten Sie bei uns erreichen?“ Brav beantwortet er jede Frage und unterschreibt zuletzt die Dokumente sowie die Datenschutzvereinbarung.
Im Klartext: Es geht darum, die Beweglichkeit und das Balancegefühl zu erhalten, vernachlässigte Muskelpartien zu stärken und damit Schmerzen vorzubeugen. Wenn dann die Muskelmasse zunimmt, erlaubt er sich ausdrücklich nicht, das Aussehen eines Testosteron-Gorillas anzunehmen. Ein normal gestählter Körper und ein bisschen Gewichtsverlust – das ist das eigentliche Ziel.
Unser Golfer ist fürs Erste entlassen. Per E-Mail erhält er die Übersicht der Termine, die er mit dem Chef-Folterer vereinbaren kann. Immerhin hat er erreicht, dass er nie vor 7:45 Uhr beginnen muss. Um 9:00 Uhr würde man ihn jeweils wieder nach Hause lassen – sofern er die Tortur bis dahin übersteht.
Am Donnerstag ist es so weit. Statt wie üblich in Richtung Golfclub zu fahren, staut er sich mit unzähligen Aargauer Fahrzeugen gen Zürich. Beim Betreten der Trainingshalle, vollgestellt mit „Marterbänken“, schlägt ihm der eigentümliche Geruch von Schweiss und alten Socken entgegen. Wer so früh trainiert, scheint ungeduscht zu kommen.
Eine Person stemmt gerade riesige Gewichte und gibt Laute von sich, die an einen gelungenen Orgasmus erinnern. Der Mensch scheint Frau und Mann zugleich zu sein und tut sein Bestes, den ohnehin schlanken Körper noch weiter zu stählen. Weiter hinten quält sich ein korpulenter Mann – vermutlich der Besitzer des Bentleys draussen, der wegen seiner schieren Grösse gleich zwei Parkplätze beansprucht.
Und dann ist der Senior-Golfer an der Reihe. Er greift nach seinem Schweisstuch, bekommt ein Glas isotonisches Getränk, diesmal mit Kirschgeschmack, nimmt einen Schluck und folgt dem Trainer zum „Affenkasten“, dem SensoPro.
Kennst du das Gerät? Falls nicht: Es ist die Perfektion des Sadismus. Display, Software, Gummibänder und Stahlgerüst vereinen sich zu einer Maschine, die selbst durchtrainierte Sportler in die Knie zwingt. Man stellt das Golftrainingsprogramm ein – selbstverständlich auf der untersten Stufe, dem aktuellen Fitnessstand angemessen – und darf gleichzeitig mit den Bewegungen auch den Geist trainieren. Fortlaufend werden Fragen gestellt, wie bei Günther Jauch – nur dass am Ende statt einer Million lediglich ein „Bravo“ zu gewinnen ist.
Die erste Prüfung ist nach sieben Minuten überstanden. Eine Übung hinterlässt bereits ein brennendes Gefühl in den Oberschenkeln. Was da wohl noch kommen mag? Der Fantasie der Gerätekonstrukteure sind offenbar keine Grenzen gesetzt.
Er muss Gewichte mit den Füssen stossen, mit Hanteln auf dem Rücken liegend die Schultergelenke beinahe auskugeln und mit einem Gummischlauch – zuerst grün, dann blau – Bewegungen ausführen, die an einen Golfschwung erinnern. Die Pumpe kommt in Fahrt, der Schweiss rinnt, und der Golfer trägt mit seinem Prada-veredelten Odeur seinen Teil zur Raumluft bei.
Der Hals wird trocken – gut, dass es Kirschwasser ohne gibt. Weiter geht es zum Stepper, um die Wadenmuskeln zu dehnen. 40-mal hoch und runter – das klingt nach wenig, aber spätestens bei Nummer 28 beginnen die Waden zu ziehen. Zurück zum Hantelstemmen. „Instant Success“ nennt man das wohl: Die Hanteln fühlen sich leichter an. Die 15 beidseitigen Senkbewegungen gehen jedenfalls besser von der Hand. Auch das Gewicht mit den Beinen zu stossen, scheint einfacher. Erst am Ende bemerkt der Golfer, dass der Trainer heimlich noch Gewicht aufgeladen hat. „Das muss so sein.“
Mittlerweile ist es 8:45 Uhr. „Nur noch 15 Minuten leiden“, denkt sich der Golfer. „Das werde ich wohl überstehen.“
Der Personal Trainer, ruhig und stets aufmerksam kontrollierend, hat sich noch eine weitere Peinigung ausgedacht. „Jetzt machen wir ein paar Übungen mit diesen Seilen. Es geht darum, Bauch- und Gesässmuskulatur zu aktivieren – 15-mal.“
„Oha lätz“, denkt er, da wurde die Problemzone glasklar identifiziert und ihr unmittelbar der Krieg erklärt. Nach zehn Bewegungen geht unserem Senior fast die Puste aus. Er setzt kurz ab, rafft sich dann aber zu den letzten fünf Wiederholungen auf und erreicht heftig atmend sein Tagessoll. Zum Dank gibt es noch ein paar Minuten auf dem Fahrrad – immer im gleichen Tempo, mit konstantem Puls.
Fast groggy verlässt er die Stätte der Qual, schleppt sich zur Theke, stürzt den letzten Schluck des lebensrettenden Getränks herunter, kleidet sich um und verabschiedet sich mit einem „Ciao zäme“ aus der Hightech-Folterstätte. Auf der Heimfahrt hat er mehr als einmal das Gefühl, jeden Moment in den Graben zu fahren – so ausgepumpt ist er.
Seine Gemahlin empfängt ihn mit einem vielsagenden Lächeln. Er haucht nur ein „Ich bin wieder da“ und sinkt auf die Couch, wo er nach einer guten Stunde wieder erwacht.
Dass sich später Muskelkater einstellen würde, war angekündigt. Doch er fällt erstaunlich mild aus – offenbar verfügt sein Körper über Reserven und eine bemerkenswerte Regenerationsfähigkeit.
Ob sich das alles lohnt? Aber sicher! Schon nach dem zweiten Training kann er erste Erfolge verbuchen, und jedes Mal wird es besser. Der Senior-Golfer fühlt sich zunehmend wohler. Hüft- und Knieschmerzen sind zwar noch da, aber deutlich schwächer. Die Probleme mit den Rückenwirbeln 4 und 5 sind praktisch verschwunden.
Es scheint, als würden das Training und die von der Ehefrau gepriesene gesunde Ernährung sich tatsächlich auszahlen. So gesehen sind das blendende Voraussetzungen für das Golftraining, das er ab März – sofern das Wetter mitspielt – wieder aufnehmen wird.










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