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Musikalische Golfrunde mit den Rolling Stones

  • thomasvonriedt
  • vor 7 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
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©Pinerest, The Rolling Stones at Gleneagles, 1965


Front Nine

 

Zugegeben, es klingt unglaublich vermessen, zu behaupten, man sei mit den Urgesteinen des Rocks Golf spielen gewesen. "Can I get a witness?" Doch es gibt Erlebnisse, die man einfach nicht glaubt, wenn man sie nicht selbst erlebt hat. Manche Leute glauben ohnehin nur das, was in den sozialen Medien steht. Mündlich Überliefertes und Printmedien geniessen heutzutage ja kaum noch Vertrauen, meinen sie. Ich habe mich jedoch entschlossen, meine Erlebnisse mit den Stones niederzuschreiben – ob man es mir glaubt oder nicht.

 

Da stand ich also auf der Tee Box, steckte behutsam das pinkfarbene Tee, vermutlich das meiner Frau, in den leicht sandigen Boden. Ich achte immer darauf, die imaginäre Linie zwischen den beiden gelben Markierungen nicht zu überschreiten. Das Tee sollte weder zu hoch noch zu tief stecken, schliesslich soll sich der Pro V1 Ball wohlfühlen und keine Höhenangst bekommen. Man stelle sich vor, der Ball wird von einem 460cc-Schlägerkopf mit Affenzahn über das Fairway katapultiert. Ausweichen ist nicht erlaubt, die Distanz soll ohne Lärm maximiert werden. Da darf man von einem Spieler schon ein gewisses Mass an Sorgfalt und Liebe zum Detail erwarten.

 

"Yeah", das war ein perfekter Schlag – schnurgerade, etwa 230 Meter weit. "High and Dry", pfiff ich leise vor mich hin. Mick, ja genau der Mick mit den grossen Lippen, heute in hautengen, violettfarbenen Hosen, die tief auf den Hüften sassen, meinte nur: "I go wild." Du hast den Ball fast "in another land" geschossen. Mick steht nie still, manche nennen ihn spöttisch "Mick the Lip". Ich fragte mich, wie er wohl seinen Ball, bestimmt mit "Brown Sugar", ins Spiel bringen würde. Mick ist ein Vollprofi, überlässt nichts dem Zufall, und auch beim Golf zeigt sich sein Talent. Mit einem eleganten Schwung schickte er den Ball los, murmelte "Ride on Baby" und räumte die Tee Box.

 

Keith, wie immer mit Kippe im Mundwinkel, seine wilden Haare quollen unter einem Stirnband hervor – darf man so überhaupt spielen? Er grinste, blickte auf seinen Ball und nuschelte "When the whip comes down", bevor er den Ball ins Spiel brachte. "Walking the Dog", dachte ich, und Keith spielte dazu ein imaginäres Air-Riff auf seinem Driver.

Endlich kamen auch Ron, Brian, Bill und Charlie ins Spiel. Ich versuchte, ihnen klarzumachen, dass es beim Golf keine 7er-Flights gibt. Bill meinte dazu nur: "Complicated." "Honest I do," so sei das schon immer gewesen. Ohne grosse Erwartungen, aber "Little by Little" kamen wir voran. Einige Bälle waren allerdings "Out of Control". Mick Jones, der später noch dazu stiess, trug den Ball elegant mit einem Holz 5 Schläger über die Hindernisse.

 

Golf ist "My Obsession" neben der Gitarre und "Angie". Während Ron Wood "Sad, sad, sad" über Bill Wymans kläglichen Schlag murmelte, brüllte der entnervte Keith: "Send it to me!" Brian stand mit verquollenen Augen im Bunker und kämpfte vergeblich, den Ball herauszuschlagen. "You’re a real 'Monkey Man', Brian," rief Charlie, "Rip this joint and let it bleed."

 

Doch Brian, wie immer in einer anderen Welt, war "2000 Light Years from Home", ganz entspannt und sorglos. Es ist schon etwas Besonderes, mit solchen intro- und extrovertierten Musikern einen anspruchsvollen Sport zu teilen. Jeder schien in seine eigenen Gedanken vertieft: Keith träumte von einem "Factory Girl", Bill erinnerte sich an die "Route 66", Ron entschuldigte sich für sein inkonstantes Spiel: "Something happened to me yesterday."

 

Mein Ball lag unglücklich unter Bäumen, noch 150 Meter vom Green entfernt. "What a stupid girl," dachte ich. "It’s not easy." Ich holte mein Eisen 7 heraus, positionierte mich für den Flachschuss à la Bubba Watson und liess den Ball elegant "Off the hook“. Der ungeduldige Mick wippte von einem Bein auf das andere: "You better move on," sagte er, "This is the last time we waste so much time." Ich verstand erst jetzt, dass er von den "Some Girls" abgelenkt war, die sich unter die Zuschauer gemischt hatten, darunter auch eine "Parachute Woman". Ron Wood, wie immer den Damen zugeneigt, wies mich darauf hin, dass auch das "Indian Girl" dabei sei, immer bereit für einen "Harlem Shuffle".

 

Schliesslich näherten wir uns dem finalen Green. Brian gratulierte mir: "Congratulations!" Mit einem präzisen Schlag legte ich den Ball direkt neben die Fahne. Keith schimpfte: "Dirty work," und verabschiedete sich: "Going home," Zeit für seinen "Brown Sugar." Ob er damit Schokolade, ein dunkles Ale oder doch etwas anderes meinte, blieb unklar.

Mick versuchte noch, seinen Ball ins Loch zu bringen, doch wieder rollte er über die Kante zurück aufs Green. "Break the spell and stop breaking down," munterte ihn Bill auf. Ich musste los – "Where the boys go," das wusste ich nicht. Völlig erschöpft sagte Ron: "This Green is too tough. You’ve got one more try, and then you can pick up."

 

 

Back Nine

 

Brian hatte längst abgeschaltet, und es wurde klar: Wir befanden uns in einer "Winning Ugly"-Situation. "You can't always get what you want," sagte Mick weise, während ich meinen Ball cool im Loch versenkte – ein echter "Down in the Hole". Mick, ehrgeizig wie immer, schien der Sieg im letzten Moment "Slipping Away". Eine Träne war ihm fast entwischt. "Start me up," sagte ich lächelnd, und wir vereinbarten eine Revanche. "Tell me," wann immer du bereit bist.

 

Brian verabschiedete sich zu seiner "Backstreet Girl" und verschwand mit seinem "Brand New Car". Charlie seufzte und meinte: "Sympathy for the Devil," dabei dachte er wohl an das Golfspiel. Er bevorzugte es, "Sleep Tonight" mit "Lady Jane" zu verbringen.

 

Am Ende verabschiedeten wir uns alle, und während die Stones einer nach dem anderen verschwanden, dachte ich bei mir: "I can't get no satisfaction" – zumindest heute nicht.

 

 

Wahr oder Traum?

 

Es war Samstag, 03:00 Uhr morgens, und ich wachte verwirrt auf. Wer hat eigentlich wen eingeladen? Wo war das? Und wer hat schliesslich gewonnen? Meine Frau hätte gesagt: "Du hast wieder zu viel von dieser Musik gehört." Offen gesagt, ich schwöre, ich habe nichts getrunken – höchstens eine blühende Fantasie.

 

Als ich die Rolling Stones am 20. September 2017 im Letzigrund wiedertraf, 50 Jahre nach unserem ersten Treffen im Zürcher Hallenstadion, schien es mir, als hätten Keith und Mick mir von der Bühne aus zugezwinkert: "Gov, fancy another round?"

 

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