Mein indisches Thongericht - immer Karfreitags und auch sonst
- thomasvonriedt
- 16. Dez.
- 4 Min. Lesezeit

Vorwort
Manche Rezepte sind mehr als nur Anleitungen zum Kochen. Sie sind kleine Zeitkapseln, die Erinnerungen, Stimmen und Gesten konservieren – wie vergilbte Fotos oder das Rascheln eines alten Briefes. Unser Thongericht gehört in diese Kategorie.
Es erzählt nicht nur vom Geschmack vergangener Jahrzehnte, sondern auch von der jungen Frau, die es einst in unsere Familie brachte: meiner Mutter P., schön, lebenshungrig, neugierig auf die Welt. Über verschlungene Wege, Freundschaften und diplomatische Zufälle fand ein Gericht aus fernen Küchen den Weg an einen Schweizer Familientisch – und blieb dort.
Seither hat es Generationen begleitet, hat Feste geprägt, Karfreitage geadelt und Kindheitserinnerungen geformt. Jeder, der sich daran versucht, verleiht ihm seine eigene Note: ein wenig mehr Knoblauch hier, ein Hauch von Ordnung oder Chaos beim Anrichten dort.
So ist das Thongericht für uns nicht bloss Speise, sondern Tradition – ein Band zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen jenen, die es erfanden, und jenen, die es heute mit leuchtenden Augen servieren.
Und wie war das nun?
Hätte meine Mutter – ich nenne sie hier schlicht P. – uns noch länger begleitet, könnte sie erzählen, wie dieses Gericht den Weg in unsere Familie fand. Jetzt aber bleibt mir nur, den Kopf ein wenig schiefzulegen, als ob man dem Echo einer Erinnerung lauschte, und zu hoffen, dass die grauen Windungen meines Gehirns irgendwann das Geheimnis wieder nach oben spülen.
P. also. Ende der 1940er-Jahre: eine junge Frau, voller Anmut und Lebenslust, Angestellte in einem Transportunternehmen, nebenbei Model, oder wie man damals sagte: Mannequin. Sie tanzte durchs Leben, umgeben von Freundinnen, umschwärmt von Bekannten. Einer jedoch wich ihr nicht mehr von der Seite – und wurde schliesslich mein Vater.
Zu ihrem Kollegenkreis gehörte auch ein junges Ehepaar, Angestellte einer diplomatischen Mission, für kurze Zeit in der Schweiz stationiert. Zwischen der Ehefrau und meiner Mutter entspann sich nicht nur Freundschaft, sondern auch ein Austausch der Kochkünste. Und so blieb uns ein Rezept erhalten, das die Jahrzehnte überdauern sollte: das Thongericht. Eine Spur exotisch, angeblich aus Indien stammend, doch gewiss schon früh dem europäischen Gaumen angepasst.
Meine erste Begegnung damit? Ich schätze, es war in den späten 1950er-Jahren, wahrscheinlich an einem Karfreitag. Damals galt der Tag als fleischlos, Fisch war ein willkommener Ersatz – und das Thongericht kletterte rasch an die Spitze unserer familiären Hitliste. Von da an war es gesetzt: Karfreitag ohne Thon? Undenkbar.
Die Jahre zogen vorbei, Generationen wechselten. Irgendwann übernahm meine Schwiegertochter die Zubereitung, und gemeinsam führen wir die Tradition weiter. P., die 2014 von uns ging, würde wohl lächeln, wenn sie wüsste, dass ihr Enkel längst mit gleichem Eifer den Kochlöffel schwingt. Bei ihm allerdings weht ein kräftigerer Knoblauchduft durch die Küche – seine Variante trägt die Signatur einer neuen Generation.
Wenn die Familie sich heute versammelt, kommt Leben an den Tisch. Nicht nur wegen des Essens, auch wegen der kleinen Rituale, die jeder pflegt:
Die Traditionalisten türmen den Reis wie einen weissen Kuchen und bestreichen ihn feierlich mit der goldbraunen Thon-Rahm-Masse, als hätten sie ein Dessert vor sich.
Die Separatisten legen penibel zwei Häufchen nebeneinander – Reis hier, Thon dort, Ordnung muss sein.
Die Uniformisten rühren beherzt alles durcheinander – eine Einheit, die ebenso köstlich schmeckt.
Und wenn nach dem Festmahl noch etwas übrigbleibt, dann beginnt die Zugabe: Am nächsten Tag kommt die Mischung in die Bratpfanne, zischt, brutzelt, duftet – und lässt einem schon beim ersten Löffel das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Im endlosen Netz der Gegenwart habe ich vergeblich nach einem Zwilling dieses Gerichts gesucht. Selbst die moderne künstliche Intelligenz schüttelte ratlos den Kopf.
So bleibt das Thongericht, was es immer war: ein Stück Familiengeschichte, ein kulinarisches Erbstück – und ein leuchtendes Beispiel dafür, wie Erinnerung durch den Magen geht.
Zutaten
für 4 Personen
2 Dosen à netto 295 g, Thunfisch weiss, im Sonnenblumenöl,
2 Dosen à netto 140 g Tomatenmark,
280 g Carolina Reis, parboiled, langkörnig
5–7,5 dl Vollrahm (auch Laktosefrei)
3–5 Knoblauchzehen (manche mögen mehr)
1 Bund frische Petersilie, gekraust
1 TL Paprika, edelsüss, nicht rauchig
Salz
Pfeffer schwarz
Prise Aromat (optional)
Bei den Gewürzen nicht sparen.
Zubereitung
Die Konserven vorsichtig öffnen, das Öl wegschütten und den Thunfisch mit einer Gabel direkt in die ofenfeste Form geben und mit einer Gabel zerkleinern.
Das Tomatenmark dazugeben und darunterziehen
Die geschälten Knoblauchzehen mit der Handpresse pressen und daruntermischen.
Die Petersilie klein schneiden, etwas beiseitelegen, den Rest der Masse beigeben.
Pfeffer und Salz nach Gutdünken dazu streuen.
Den Vollrahm vorsichtig dazugiessen und alles mit einer Kelle mischen. Es muss eine dickflüssige Masse ergeben.
Die ofenfeste Form in den auf 225 °C vorgeheizten Ofen mittig stellen. Bei Ober- und Unterhitze ca. 30 Minuten gar werden lassen. Die Oberfläche soll leicht fest, aber nicht schwarz werden.
Den Reis am besten mit einem Reiskocher zubereiten. Gleiche Menge Reis wie Wasser in den Topf geben. Der Reis soll trocken-körnig und neutral im Geschmack werden. Keine Bouillon, Butter oder Zwiebeln dazugeben!
Die beiseitegelegte Petersilie nun dekorativ darüberstreuen.
Servieren
Für die Traditionalisten (Kuchen)
Den Reis schöpfen und auf dem Teller verteilen.
Flach auf ca. 1 cm Stärke verteilen.
Die Thon-Mischung auf den Reis wie eine Glasur aufbringen.
Mit etwas von der zur Seite gelegten Petersilie bestreuen.
Für die Separatisten (Häufchen)
Den Reis schöpfen und ein Häufchen bilden.
Die Thon-Mischung als 2. Häufchen daneben platzieren.
Mit etwas von der zur Seite gelegten Petersilie bestreuen.
Für die Kinder (Seelein)
Den Reis auf den Teller schöpfen, wenig.
Mit einem Löffel einen Kreis in den Reis drücken.
Die Thon-Mischung in den Ring füllen.
Mit etwas von der zur Seite gelegten Petersilie bestreuen.
Für Puristen (Fladen)
Wie für Traditionalisten, aber ganzer Teller voll.
Mit etwas von der zur Seite gelegten Petersilie bestreuen.
Empfehlungen
Als Vorspeise
Weisser Chicorée Salat, ganze Blätter und einen Teil davon fein geschnitten. Dazu eine Vinaigrette mit feingehackten Spreewälder Gurken und Ei servieren
Passende Getränke
• Waadtländer Chasselas, Château de Chatelard von Patrick Fonjallaz
• Grauburgunder von Lorenz & Corina Keller, Erzingen, DE
• Sauvignon Blanc von Kim Crawford, Marlborough Estate, NZ
Restenverwertung
Es bleibt in den seltensten Fällen etwas übrig. Falls doch, dann im Kühlschrank bis 2 Tage aufbewahren.
Wenn Hunger und/oder die Lust wieder plagen, den Reis und die Thunfischmasse in einer Bratpfanne zusammen anbraten. Herrlich.










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