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Max und der unheilige Graf von Steinegg

  • thomasvonriedt
  • 17. Dez.
  • 6 Min. Lesezeit
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In der düsteren Nacht lag der entlegene Golfplatz auf der Schwarzwälder Hochebene wie ein vergessenes Stück Land. Nebel kroch aus den Senken, die Tannen standen dicht und schwarz am Rand der Fairways. Der Mond war hinter Wolken verborgen, und das einzige Licht kam von den fahlen Scheinwerfern am Clubhaus, das im Halbdunkel eher wie ein verlassenes Herrenhaus wirkte.

 

In der Ferne erhob sich die Festung Steinegg, ein zerfallener Turm auf einem Felsenrücken. Kein Fenster war erleuchtet, kein Laut drang aus dem Gemäuer. Die alten Herren im Club behaupteten, dort residiere seit Jahrhunderten ein unheiliger Herr, der bestimmte Daten besonders liebte – vor allem den 15. September. An diesem Tag, so hiess es, sei in früheren Zeiten schon mancher Wanderer, ja sogar der eine oder andere Golfspieler spurlos verschwunden.

 

Genau an diesem 15. September stand Max auf dem Abschlag von Bahn 7.

 

Max, Meister des Grüns, glaubte nicht an Gespenster, sondern an Physik, Ballflugkurven und gesunde Routine. Er war ein Mann der Gewohnheit – und der Hartnäckigkeit. Dass die Senioren ihm im Clubhaus zugenickt und halblaut gemurmelt hatten: „Heute Nacht würde ich nicht mehr rausgehen, Max …“, stiess bei ihm nur auf ein Schulterzucken.

 

„Wer sein Handicap fürs Nachtturnier verbessern will, muss eben üben“, hatte er geantwortet. „Egal, was der Kalender sagt.“

 

Nun stand er allein auf dem Platz. Der Wind liess die Fahnen an den Löchern klirren, irgendwo knackte ein Ast. Max setzte einen Ball auf das Tee, schob die Kappe tiefer in die Stirn und atmete durch. Der Scheinwerfer vom Clubhaus strich gerade so weit, dass der Fairway Rand im bleichen Licht lag, dahinter begann die dunkle Wand aus Tannen.

 

Er holte aus, der 7er glitt sauber durch, der Ball flog in einem schönen Bogen in die Nacht hinaus.

 

In diesem Moment spürte Max ein leises Brennen in seinem Nacken – nicht vom Schwung, sondern wie ein kalter Blick. Er hielt inne. Hinter ihm raschelte es im Rough, doch als er sich umdrehte, sah er nur Schatten. Der Wind hatte nachgelassen; die Stille lag schwer auf dem Platz.

 

„Rehe“, murmelte er. „Oder wieder der alte Herr Maier mit seinem Hund.“

 

Er wollte schon zum nächsten Ball greifen, als sich über ihm die Wolken teilten. Ein fahler Mondstrahl traf die Baumgruppe links vom Fairway – und zwei rot glühende Augen schälten sich aus dem Dunkel.

 

Eine hohe, samtige Stimme zerschnitt die Stille.

 

„Du spielst spät heute, Golfer …“

 

Max fuhr zusammen. Zwischen den Stämmen trat eine Gestalt hervor: gross, dürr, in einem langen dunklen Mantel, der eher nach anderer Zeit aussah als nach moderner Regenbekleidung. Die Haut des Fremden war so bleich wie das Clubhaus-Licht, und als er die Lippen zu einem Lächeln verzog, blitzten zwei lange, spitze Eckzähne.

 

„Ich bin Graf von Steinegg“, stellte sich die Gestalt vor und verneigte sich mit theatralischer Eleganz. „Vielleicht hast du schon von mir gehört.“

 

Max schluckte trocken. „Bestimmt nur eine besonders schlechte Verkleidung“, redete er sich ein. Vielleicht war das ein makabrer Scherz des Herren Captains. Aber warum war es so kalt? Warum trug der Fremde keinen Atemhauch vor dem Mund?

 

„Eigentlich ziehe ich es vor, mich an Wanderern, Jägern oder unvorsichtigen Liebespaaren zu laben“, fuhr der Graf fort, „aber ein Golfer … nun, das ist etwas Neues. Du hast ein starkes Herz, Max. Ich spüre jeden Schlag.“

 

„Wenn Sie mein Herz schlagen hören, hören Sie sicher auch meinen Schwung“, erwiderte Max, mehr trotzig als mutig. „Ich habe noch ein paar Bälle zu spielen, bevor Sie mich aussaugen.“

 

Der Graf lachte leise. „Dein Mut ehrt dich“, sagte er. „Und wird dich besonders delikat machen.“

 

Max trat einen Schritt zurück und spürte mit der Ferse den Rand des Tees. Panisch wollte er nicht wirken. Nachdenken. Er erinnerte sich an die Geschichten, die die Senioren am Nachmittag im Clubhaus erzählt hatten. An den Hinweis von Peter, der leise hinzugefügt hatte: „Wenn du unbedingt gehen musst, Max – nimm den Weg an der Kapelle vorbei und hol dir meinen Glücksball aus der Schale. Der hat schon manchen Treffer überlebt.“

 

Max hatte darüber gelacht – aber den Rat nicht ganz ignoriert. Auf dem Weg zur Bahn 7 war er kurz in die kleine Kapelle eingebogen, die am Waldrand stand. In der Vorhalle stand eine steinerne Schale mit Weihwasser. Aus einer Laune heraus hatte er Peters alten, leicht angerissenen Ball hineingelegt, ihn kreisen lassen und leise gemurmelt:

 

„Na gut, dann sei mal mein Glücksball.“

 

Jetzt steckte genau dieser Ball in seiner Hosentasche.

 

„Sie wissen, dass das hier Privatgelände ist?“, fragte Max, während er langsam den Ball aus der Tasche zog und zum Tee hinüberging. „Nur Mitglieder und Gäste.“

 

„Oh, ich bin dein Gast“, säuselte der Graf. „Ein sehr hungriger.“

 

Max setzte den Ball auf das Tee, legte die Hand fester um den Griff seines 7er-Eisens und spürte, wie sein Herz raste. Der Ball glänzte im Mondlicht, und für einen Moment glaubte er, einen ganz feinen, silbrigen Schimmer auf der Oberfläche zu sehen.

 

„Ein letzter Schlag“, sagte der Graf. „Dann bist du fällig.“

 

„Einverstanden“, antwortete Max. „Aber ich schlage auf Ziel.“

 

„Welches Ziel?“

 

„Sie.“

 

Bevor der Vampir reagieren konnte, holte Max aus. Er setzte alles, was er aus Jahren des Trainings kannte, in diesen Schwung: Stand, Drehung, Durchzug. Ein leises Zischen, als der Schläger den Ball traf – und der Weihwasserball jagte wie eine kleine, weisse Kometenkugel durch die Luft.

 

Der Graf wollte zur Seite springen, doch es war zu spät. Der Ball traf ihn mitten auf der Brust, genau dort, wo sein Herz sein musste. Ein dumpfer Schlag, dann ein Zischen – als hätte jemand glühende Kohle ins Wasser geworfen.

 

Der Vampir blickte ungläubig an sich hinunter. Um den Einschlag herum begann sein Mantel zu dampfen. Die feine, silbrige Schicht des Weihwassers hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Haut des Grafen bekam Risse, aus denen kein Blut, sondern schwarze Schatten herausquollen.

 

„Was … hast du getan?“ keuchte er.

 

Max hob den 7er, als wolle er einen weiteren Schlag ansetzen, wenn auch diesmal ohne Ball. „Nur ein bisschen Kurzspieltraining“, sagte er mit trockenem Mund.

 

Der Graf schrie auf. Sein Schrei schnitt durch die Nacht wie eine Sirene. Flammen züngelten an den Rändern seines Mantels empor, doch es war kein Feuer wie auf der Grillterrasse im Club, sondern ein kaltes, bläuliches Leuchten. Der Körper des Vampirs begann zu flirren, als sei er aus Nebel statt aus Fleisch.


Ein Windstoss fuhr über den Platz, wirbelte Laub und alte Teemarker in die Luft. Der Graf von Steinegg brach in sich zusammen, löste sich auf in einen Strom aus Dunkelheit, der wie Asche im Sturm davontrudelte. Was blieb, war der heilige Golfball, der mit einem leisen „Plopp“ ins Gras fiel.

 

Die Wolken verzogen sich, der Mond trat klar hervor und übergoss den Platz mit blassem Licht. Die Schatten zwischen den Bäumen wichen zurück. Max stand allein auf dem Abschlag von Bahn 7, den 7er in der Hand, und merkte erst jetzt, wie sehr ihm die Knie zitterten.

 

„Das nimmt mir keiner im Club ab“, murmelte er, bückte sich und hob den Ball auf. Seine Oberfläche war unversehrt – nur ein schwacher Geruch nach Weihrauch hing daran.

 

Später, im Clubhaus, sass er zwischen den Senioren mit einem grossen Whisky in der Hand. Er erzählte die Geschichte vom Grafen, von den roten Augen und vom Weihwasserball. Die Reaktionen waren erwartbar.

 

„Zu viel Single Malt, mein Junge“, schmunzelte einer.

„Und zu viel Training im Dunkeln“, ergänzte ein anderer.

„Der Einzige, der dich nachts beisst, ist der Mücken-Vampir bei Bahn 3“, meinte der Captain.

 

Nur Peter sagte nichts. Er sah Max lange an, dann auf den Ball, den Max auf den Tisch gelegt hatte. „Interessante Patina“, murmelte er und nickte langsam. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den Max nicht recht deuten konnte – eine Mischung aus Sorge, Stolz und einem Hauch von „Hab ich’s dir nicht gesagt“.

 

Seither hat niemand im Club je wieder am 15. September nach Sonnenuntergang eine Runde begonnen. Offiziell wegen „Wildwechsels“. Inoffiziell wegen der Geschichten, die man sich am Stammtisch erzählt.

 

Im Pro-Shop liegen seit Kurzem spezielle „Steinegg-Edition“-Bälle in einer kleinen Schale mit Wasser, nur fürs Marketing natürlich, wie der Manager betont. Einige schwören allerdings, dass diese Bälle bei Nachtturnieren ein ganz eigenes Leuchten haben – und man auf dem 7. Fairway manchmal das Flüstern einer samtigen Stimme hört, kurz bevor man abschlägt.

 

Und wenn Max nachts zum Parkplatz geht, schaut er automatisch zum Turm von Steinegg hinüber. Nur für den Fall. Sein alter 7er ist jedenfalls immer im Kofferraum.

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