Max`Fondue mit den Senioren
- thomasvonriedt
- vor 6 Tagen
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Es war ein kalter Herbstabend in den Schweizer Alpen. Der Wind fuhr über die Hänge, rüttelte an den Fahnen der letzten Greens und trug das ferne Bimmeln von Kuhglocken über den Platz. Max, der ambitionierte Golfball und selbsternannte Meister des Grüns, lag erschöpft, aber zufrieden in einer alten Ledertasche. Der Kurs hatte es in sich gehabt: steile Fairways, schiefe Lies, Abschläge über Schluchten – nichts für schwache Nerven und schon gar nichts für Bälle mit Höhenangst.
Als das E-Cart vor einem sonnenverbrannten Berghaus stoppte, hörte Max die Golfer lachen. Ein handgeschnitztes Holzschild über der Tür verkündete in krakeliger Schrift: „Alpstübli – Fondue & Fendant seit 1957“. Aus dem Kamin stieg Rauch, und durch die Fenster schimmerte warmes Licht. Es roch nach Holz, Käse und ein kleines bisschen nach nassen Golfhandschuhen.
Die Tasche wurde auf eine Bank gestellt, der Reissverschluss ging auf, und Max lugte hinaus. Der Raum war niedrig, die Decke mit dunklen Balken, an den Wänden hingen vergilbte Schwarz-Weiss-Fotos von Skifahrern und früheren Clubmeistern. Ein Kamin knisterte, darüber prangte ein aufgehängter Kuhschädel, dem jemand eine alte Golfkappe aufgesetzt hatte. Auf dem grossen Holztisch in der Mitte standen Kerzen, ein Berg von Brotstücken, Teller, Gabeln – und, im Zentrum, ein Caquelon, aus dem es verheissungsvoll dampfte.
„Fondue-Pflicht nach Runde 18“, murmelte eine sonore Stimme. Es war Herr Bärtschi, ehemaliger Bankdirektor, der sich seit der Pensionierung als inoffizieller Präsident des Seniorenflightes sah. „Wer heute sein Brot im Käse verliert, zahlt die nächste Flasche Fendant.“
„Oder singt ein Lied“, warf Frau Leni ein, pensionierte Lehrerin und Hüterin der Fondue-Regeln. „Und zwar in einer Landessprache. Kein Englisch, bitte.“
Neben ihnen sass Sepp, ein ruhiger, wettergegerbter Handwerker mit Händen wie Schraubstöcke. Er sagte selten etwas, aber wenn, dann lachte der ganze Tisch.
Max lauschte. Fondue-Pflicht? Das klang nach einem Loch 19, das ihm gefallen könnte.
Als die Golftasche achtlos in die Ecke gestellt wurde, nutzte Max seine Chance. Ein kleiner Ruck, ein geschicktes Rollen – und schon war er aus der Tasche und kollerte über den Holzboden zum Tisch. Niemand bemerkte ihn; alle waren mit Servietten, Brot und der Frage beschäftigt, ob man jetzt Kirsch in den Käse geben dürfe oder ob das „nur für Touristen“ sei.
Max schaffte es bis zur Tischkante und stemmte sich mit aller Kraft nach oben. Er kannte diese Bewegung vom Bunker: ein kurzer, entschlossener Sprung – und schon lag er auf dem weissen Tischtuch, direkt neben einem Korb voller Brot. Die Wärme des Caquelon schlug ihm entgegen, ein dichter Duft aus geschmolzenem Gruyère und Vacherin, ein Hauch Knoblauch und Weisswein.
„Was isch jetzt das?“, fragte Frau Leni und beugte sich vor. „Euer Ball isch abghaue.“
Herr Bärtschi setzte die Brille ab, wischte sie am Ärmel ab und setzte sie wieder auf. „Das ist Max“, sagte er trocken. „Der Meister des Grüns. Offensichtlich will er an der Nachbearbeitung des Tages teilnehmen.“
Max grinste innerlich. Genau das habe ich vor.
Er rollte ein paar Zentimeter näher an den Caquelon. Der Käse blubberte leise, als würde er ihn einladen. Kurz fragte sich Max, ob Surlyn bei Fondue schmelzfrei sei, entschied dann aber, dass man im Leben manche Fragen nur praktisch klären könne.
„Max, nicht!“, rief einer der jüngeren Golfer lachend, doch da war es schon zu spät. Mit einem beherzten Satz katapultierte sich der Golfball über den Rand des Caquelons und verschwand mit einem satten „Plopp“ im goldenen Käse Meer.
Für einen Moment war alles still. Dann spritzte der Käse in feinen Bögen nach oben, landete auf Servietten, Brillen und einem besonders fein gebügelten Hemd. Sepp bekam einen Klecks auf die Nase, blinzelte überrascht und begann dann herzlich zu lachen.
„Also das“, prustete er, „hät jetzt no kei Ball bide Seniorä gmacht!“
Im Innern des Caquelons fühlte sich Max wie in einem sehr heissen, sehr würzigen Whirlpool. Der Käse schmiegte sich an jede Delle seiner Oberfläche, Krustenstückchen strichen an ihm vorbei. Es brannte ein wenig, aber seine Surlyn-Hülle hielt stand. Vor allem schmeckte es unfassbar gut – zumindest in seiner Vorstellung, denn Golfbälle können zwar nicht schmecken, aber sie haben Fantasie.
Unter grossem Gelächter fischte Herr Bärtschi Max vorsichtig mit einer Fonduegabel aus dem Caquelon. Käsefäden zogen sich zäh in die Länge, bevor sie abrissen und auf dem Tischtuch landeten.
„Da, Max“, sagte er und setzte den tropfenden Ball auf einen kleinen Untersetzer. „Offiziell bist du jetzt kein Meister des Grüns mehr, sondern Meister des Caquelons.“
„Er hat die Fondue-Regel gebrochen“, stellte Frau Leni fest und wischte sich den Käse von der Brille. „Wer sein Brot verliert, zahlt eine Runde. Wer sich selbst hineinwirft… mindestens zwei.“
„Einverstanden“ brummte Sepp. „Aber defür verzelli kän Witz meh. Das hät dä Bölle jetzt für ois gmacht.“
Die Stimmung im Chalet war gelöst. Die Golfer stiessen an, erzählten Geschichten von früheren Runden, verhandelten darüber, welches Loch „unfair“ sei und welche Bahn nur mit viel Glück zu spielen. Dazwischen rollte Max, inzwischen von einer dünnen Käsekruste umhüllt, zufrieden über den Tisch. Immer, wenn jemand ein Stück Brot aufspiesste, machte er sich ein wenig wichtig und sorgte dafür, dass keiner mehr sein Brot im Käse verlor – schliesslich war er jetzt so etwas wie der Schutzpatron des Caquelon.
Im Laufe des Abends leerten sich die Fendant-Flaschen. Max wurde mehrfach als „Schweizer Nationalball“ gefeiert, jemand wollte ihm ein kleines Loch in die Oberfläche bohren und eine Fahne hineinstecken, was Frau Leni streng untersagte: „Mit Essen spielt man nicht. Und mit Bällen aus dem Caquelon schon gar nicht.“
Als draussen die Nacht tiefer wurde und die Sterne hell über den Gipfeln funkelten, schwankte die Runde deutlich. Die Kerzen waren heruntergebrannt, im Kamin glühten nur noch rote Kohlen. Max rollte einen Proberolli über das Tischtuch und bemerkte, dass seine Linie nicht mehr ganz sauber war. Er driftete leicht nach rechts – wie ein müder Slice.
„Offensichtlich“, dachte er, „wirkt Fendant auch auf Surlyn.“
Er stoppte am Rand des Tisches und blickte – so gut wie ein Golfball eben kann – zum Fenster hinaus. Ein paar Schneeflocken hatten begonnen zu fallen, die Berge zeichneten sich im Mondlicht ab, und irgendwo weit unten am Hang leuchtete noch schwach die Fahne von Loch 18.
Max seufzte zufrieden. Er hatte an diesem Tag steile Fairways bezwungen, kritische Putts überlebt und war in einem Caquelon fast zu einem Käseball geworden. Vor allem aber hatte er gelernt, dass der wahre Reiz des Spiels nicht nur im Turnierergebnis lag, sondern in den Abenden danach – bei denen man lachte, stritt, ass und trank, als würde die Saison nie enden.
„Vielleicht“, dachte er, kurz bevor er von einem freundlichen Golfer zurück in die Tasche gesetzt wurde, „sollte man Fondue offiziell als Loch 19 in jede Golfetikette aufnehmen. Wer es dort schafft, ohne umzufallen, ist der wahre Meister des Grüns.“
Mit diesem Gedanken liess er sich in die Tiefe der Ledertasche sinken, während draussen der erste richtige Schnee des Winters begann, den Platz sanft zu bedecken. Heute war er nicht nur ein ambitionierter Golfball gewesen, sondern der ungekrönte König eines unvergesslichen Fondueabends in den Schweizer Alpen.










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