Ich mues no Chäpsli haa...
- thomasvonriedt
- 21. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Feb.
Für Heimweh Örliker und alle die Zürich mögen.

Bild © ETHZ Archiv
Kürzlich, während einer Diskussion im Büetzer-Restaurant zur Metzgerhalle in Zürich, stellten wir fest, wie sehr sich Oerlikon (früher auch „s’Dorf“ genannt), zum Nachteil der Bürger verändert hat. Der öffentliche Verkehr und der Individualverkehr dominieren das Straßenbild, viele Gebäude sind heute im Einheitsstil der westlichen Welt gebaut. Ganze Strassenzüge mit toten Fassaden, ohne Leben. Von ehemals fünf oder sechs Bäckereien, ist nur noch eine übrig geblieben, dafür gibt es unzählige Coiffeure, Nagelstudios, Pizzerien und Kebab-Buden.
Der Marktplatz ist heute autofrei, nur ein paar Männer spielen Schach, und in einer Ecke treffen sich die Alkis. Wo ist der Jelmoli geblieben? Nun macht sogar das Hauptgeschäft an der Bahnhofstraße in der Stadt dicht. Der „stieri Egge“, wo früher die Arbeitslosen herumstanden und man sich ganz allgemein traf, ist heute fest in der Hand linker Parteien, die dort ihre Flugblätter verteilen. „Nein danke, ich bin nur zu Besuch in der Stadt“, denkt man sich. Der Markt am Samstag ist ein Highlight, farbig und bringt die Völker der Welt zusammen.
Ein Rundgang durch Alt- und Neu-Oerlikon lohnt sich dennoch: Man kann in Erinnerungen schwelgen, staunend feststellen, was sich heute verändert, und sich fragen, was einmal sein wird.
Zurück zu den Chäpsli
Chäpsli, das klingt nach etwas Niedlichem, ist es aber nicht wirklich. Vermutlich sind sie heute gar verpönt – entweder als militärverherrlichend oder als umweltschädlich. Auf Hochdeutsch nennt man sie Knallplättchen, die es sowohl einzeln als auch auf Rollen gab.
Eine wahre Herrlichkeit auf Erden für einen Jungen im Jahre 1960!
Und wo gab es die?
Ja genau, bei Pfister Kari in Oerlikon. Dort brachte man sein mühsam erspartes Geld hin. Hier verkaufte Kari, stets im weißen Arbeitskittel gekleidet, ein Schächteli Plättchen für die Raketenkracher oder ein paar Rollen für die Chäpslipistole. Der Vater, nach langem Drängen seines Sohnes, kaufte beim Knabenschiessen schließlich doch das heiß begehrte, verchromte Stück. „Nun hat die Seele endlich Ruhe“, wird er sich gedacht haben. Es bleibt allerdings zu erwähnen, dass die Munition nicht sehr weit reichte.
Da Taschengeld kaum die Regel war – und wenn doch, dann nur äußerst spärlich floss –, war der junge Mensch gezwungen, sich selbst etwas zu verdienen. Das funktionierte an sich nicht schlecht: durch das Sammeln von Altpapier (heute Re-Cycling genannt), Bierflaschen und Kupferdraht, die man dann beim Altwarenhändler verkaufte. Der Erlös reichte meist für den Kauf von Schleckmuscheln, Ziehmi und anderen Süßigkeiten – und eben für Chäpsli beim Pfister Kari.
Wer jedoch am äußeren Ende des Kreis 11 wohnte, dort, wo die Frohburgstraße am Waldrand des Zürichbergs entlangführte, musste für diesen Einkauf eine regelrechte Expedition unternehmen. Natürlich zu Fuß – ein Fahrrad hatte keiner, und Geld für Bus oder Tram gab es nicht. Also machte man sich am schulfreien Mittwochnachmittag auf den Weg: Richtung Berninaplatz, durch das Quartier der Bernina-Bande, mit denen man verfeindet war (die Agrafenschleuder nicht vergessen!). Dann vorbei an der Kugellagerfabrik SRO, wo man sich gleichzeitig ein paar starke Kugellager für den nächsten Roller erbettelte.
An der Kreuzung Berninastraße bog man in die Oerlikonerstraße ein, bis die reformierte Kirche in Sicht kam. Kurz vorher ging es linksherum Richtung Schulhaus Liguster, über den Pausenplatz, hinunter über den Achermannweg zum Baumackergebäude – und schon war man fast im Zentrum.
Hier begann das wahre Paradies! Die Straßen waren noch gesäumt von Ladengeschäften. Das Café Speck – wo nur die Katholiken hingingen. Der Fotoladen mit den neuesten Neuheiten hier blieb sogar jeweils der Vater stehen. Weiter durch die Schwamendingenstraße, vorbei am Revolver-Kino Colosseum hin zum Sternen, auch hier gab es ein Kino, zu den Magasins Jelmoli, hinein in die Ohmstraße und dann scharf links in die Nansenstraße. Jetzt nur noch ein paar Treppenstufen hoch – und Simsalabim! Der Sesam öffnete sich. Der Fussmarsch von wohl 40 Minuten hatte sich gelohnt (zurückmarschieren mussten wir ja auch noch)
Unsere Samstagmorgendiskussion konnten wir erfolgreich abschließen: Der Weg ins Paradies wurde wieder gefunden. Nur leider – das Paradies selbst ist verschwunden. Heute steht an derselben Stelle ein amerikanischer Burgerladen. Kein Vergleich.
Das Leben in den 50er- und 60er-Jahren war wohl etwas bescheidener, Orte der Sehnsucht wie damals, gibt es auch heute noch – vielleicht eher online.









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