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Ein McDonald, drei Künstler und die Frage nach der Kunst

  • thomasvonriedt
  • 2. Apr.
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 9. Apr.


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Die Teilnehmer am Streitgespräch


Arnold Böcklin, Maler, Grafiker, Bildhauer, *1827 - †1901

Albert Anker, Maler und Grafiker, *1831 - †1910

Harald Nägeli, Grafiker und Sprayer von Zürich, *1939

Donald Trump, Präsident USA, *1946

Pipilotti Rist, Videokünstlerin, *1962


In einer unscheinbaren McDonald’s-Filiale an der Flughofstrasse in Rümlang, irgendwo zwischen Neonlicht und fettigen Burgern, sitzen drei Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Albert Anker, Meister der bäuerlichen Idylle, Arnold Böcklin, Schöpfer fantastischer Traumwelten, und Harald Nägeli, der Sprayer von Zürich. Sie haben sich hier eingefunden, um über Kunst zu sprechen – oder vielmehr, um zu streiten.


Albert Anker, in feinem Anzug, mit Taschenuhr, rührt mit Bedacht in seinem Kaffee. „Kunst muss Handwerk haben“, beginnt er, während er prüfend die orangefarbene Plastikschale betrachtet, auf der sein Menü serviert wurde. „Sie soll die Welt so zeigen, wie sie ist – oder vielmehr, wie sie sein sollte. Es geht um Sorgfalt, um Detail, um Wahrheit.“


Nägeli schnaubt, sein Burger halb aufgegessen, die Papiertüte achtlos zur Seite geworfen. „Wahrheit? Ihr Realismus ist doch nichts als eine nostalgische Verklärung! Kunst muss in den Straßen leben, sie muss provozieren. Eine Spraydose kann mehr bewirken als ein ganzes Museum voller fein gemalter Bilder.“


Böcklin, der schweigend seine Pommes inspiziert, hebt endlich den Blick. „Ihr seid beide zu engstirnig“, sagt er mit leiser Stimme. „Kunst darf nicht nur die Welt kopieren, sie muss sie verwandeln. Mythos, Traum, das Unbewusste – dort liegt die wahre Kraft der Kunst.“

Anker schüttelt den Kopf. „Schöne Worte. Aber ohne Disziplin und Technik bleibt alles nur Fantasterei.“„Und ohne Relevanz bleibt es Dekoration!“, kontert Nägeli.

Böcklin seufzt, sein Blick wandert durch das Fast-Food-Restaurant. Eine künstliche Welt, aus Plastik gebaut, blitzblank gewischt und doch seltsam seelenlos. Vielleicht, denkt er, ist das die eigentliche Kunst der Moderne – ein Ort wie dieser, wo das Schöne, das Fantastische und das Rebellische aufeinandertreffen und doch aneinander vorbeireden.


Der Streit geht weiter, während die Burger kälter werden. 



Ein unerwarteter Gast


Während sich Anker, Böcklin und Nägeli noch immer in ihrem hitzigen Disput verheddern, quietscht plötzlich die Tür des McDonald’s auf. Ein markanter Mann mit oranger Haut und einer auffälligen Frisur betritt den Raum. Donald Trump. In einem maßgeschneiderten Anzug, mit einem auffallend roten Schlips, bestellt er mit gewohntem Selbstbewusstsein einen Big Mac mit extra Käse, dazu eine große Cola. Als er sich mit seinem Tablett umblickt, fällt sein Blick auf die drei streitenden Künstler.


„Was redet ihr da überhaupt?“, fragt er mit der ihm eigenen Mischung aus Neugier und Herablassung.


Harald Nägeli, der als Einziger Trumps Auftreten mit einem gewissen Entertainment-Faktor wahrnimmt, lehnt sich grinsend zurück. „Wir diskutieren über Kunst.“  Trump setzt sich ungeniert an den Tisch und beißt herzhaft in seinen Burger. „Kunst? Kunst ist einfach. Kunst ist das, was gewinnt. Schaut euch meine Gebäude an. Goldene Decken, riesige Buchstaben, jeder erkennt sofort: Das ist Trump. Das ist Erfolg. Die Leute wollen das sehen, weil es Power ausstrahlt.“


Anker verdreht die Augen. „Kunst ist nicht Macht oder Geld. Kunst ist Präzision, Handwerk, Liebe zum Detail.“ „Nein, Kunst ist Wirkung“, wirft Nägeli ein. „Ein Graffiti an der richtigen Stelle kann ein ganzes System infrage stellen.“ Böcklin schüttelt nachdenklich den Kopf. „Ihr denkt alle viel zu flach. Kunst ist nicht nur ein Werkzeug – sie ist eine Tür zu anderen Welten.“

Donald nimmt einen Schluck Cola und lacht. „Andere Welten? Fake News! Die Leute wollen keine anderen Welten, sie wollen eine bessere Welt. Und wisst ihr, wer ihnen die gibt? Gewinner. Leute wie ich. Nicht so Loser wie die Demokraten».


Nägeli lacht auf. „Wenn du über Gewinner redest, meinst du dann auch den Künstler Jeff Koons? Der macht riesige glänzende Ballonhunde, verkauft sie für Millionen – passt perfekt in deine Trump Towers. Koons ist großartig!“, ruft Trump aus. „Er versteht es. Mach’s groß, mach’s teuer, mach’s so, dass es jeder erkennt. Das ist wahre Kunst. Diese alten Meister, alles schön und gut, aber sie haben nie begriffen, dass es um Branding geht.“


Anker schüttelt ungläubig den Kopf. „Das ist nicht mehr Kunst, das ist Marktwirtschaft. Zu meiner besten Zeit war das anders».


„Und was ist falsch an Marktwirtschaft?“ Trump zuckt die Schultern. „Leute lieben, was sie kaufen können. Sie lieben Erfolg. Und wahre Kunst – ist das, was verkauft wird. Deshalb bringe ich das Paradies zurück, first in America».


Einen Moment lang herrscht Stille am Tisch. Böcklin starrt in seine leere Pommes-Tüte, Nägeli grinst nur und Anker scheint einen leichten Brechreiz zu unterdrücken. Dann steht Nägeli auf, zieht eine schwarze Spraydose aus seiner Jackentasche und sprüht mit geübter Hand einen großen, wilden Schriftzug auf die McDonald’s-Tischplatte: “Art is free.”

Donald Trump schüttelt den Kopf. „Falsch“, sagt er. „Art is business, you losers».


Er steht auf, wischt sich mit einer Serviette den Mund ab und verlässt das Restaurant, während er sein Handy zückt, vermutlich, um über den Vorfall zu twittern.

Zurück bleiben drei Künstler, die sich vielleicht in nichts einig sind – außer in einem Punkt: Die Kunst hat einen neuen Feind – oder vielleicht auch nur ihr größtes Missverständnis.



Pipilotti Rist mischt die Gruppe auf.


Harald Nägeli lehnt sich in seinem Plastikstuhl zurück, die Spraydose noch in der Hand, als er plötzlich eine bekannte Gestalt draußen auf der Straße erblickt. Pipilotti Rist, die berühmte Videokünstlerin, spaziert mit federnden Schritten am McDonald’s vorbei. Ohne zu zögern, springt Nägeli auf, öffnet die Tür und ruft ihr nach:

„Pippi, komm rein! Hier geht’s um Kunst – und um die Frage, ob sie tot ist oder gerade erst richtig anfängt!“


Pipilotti, bürgerlich Elisabeth Charlotte Rist, in einem bunten, leicht schimmernden Kleid, hält kurz inne, mustert die Szene durch die Glasscheibe und tritt mit einem wissenden Lächeln ein. Sie betrachtet die Runde: Albert Anker, der noch immer fassungslos über Trumps Abgang ist, Arnold Böcklin, in Gedanken versunken, und Nägeli, der grinst wie ein Schalk.


„Was für ein bizarrer Ort für eine Kunstdebatte“, murmelt sie, setzt sich und zieht ihr Handy hervor, als würde sie die ganze Szenerie gleich in ein neues Video verwandeln.

Anker räuspert sich. „Ich nehme an, Sie gehören auch zu jenen, die glauben, dass Kunst nur dann zählt, wenn sie provoziert oder moderne Technik nutzt?“


Sie lacht. „Nein, nein, lieber Herr Anker. Kunst ist ein Spiel. Ein Fließen. Ein Tanzen. Ein Rausch aus Licht, Farben, Tönen. Warum soll sie statisch sein? Warum nur auf Leinwand oder Stein?“ Arnold Böcklin, dessen Fantasie von diesen Worten angeregt wird, nickt nachdenklich. „Interessant… vielleicht ist deine Kunst ja eine Art modernes Traumreich. Eine neue Mythologie, aber in Pixeln.“


Harald Nägeli nimmt einen tiefen Schluck Cola. „Siehst du, Pippi – genau das ist der Punkt. Kunst soll überall sein! In der Stadt, im Leben, in der Luft, in Bewegung. Ich sprühe an Wände, du projizierst an Fassaden – und was macht die Welt? Sie erklärt unsere Kunst für illegal oder für ’nischenhaft’.“


Donald Trump, der die Tür gerade wieder aufgestoßen hat, weil er seine Sonnenbrille vergessen hatte, schnappt diesen letzten Satz auf und kann sich einen Kommentar nicht verkneifen. Vielleicht, weil es keine echte Kunst ist? Ich meine, komm schon – große Videoprojektionen? Das ist kein Geschäft. Wo ist der Profit? Wer kauft das?“


Pipilotti schüttelt den Kopf. „Du verstehst es nicht, Donald. Kunst ist nicht dazu da, um gekauft zu werden. Sie ist dazu da, zu gesehen, gefühlt, erlebt zu werden. Sie schleicht sich in den Geist der Menschen – und verändert sie". Trump lacht. „Schatz, wenn du etwas verändern willst, dann musst du es verkaufen. Sonst bleibt es bedeutungslos.“

Albert seufzt und legt seine Serviette sorgfältig zusammen. „Vielleicht sind wir hier an einem Punkt angelangt, an dem sich Kunst und Kommerz nicht mehr verstehen können. Was ich male, ist für die Ewigkeit gedacht. Was Herr Nägeli sprüht, vergeht. Das was Frau Rist projiziert, ist flüchtig. Und was Herr Trump baut, ist zwar groß, aber seelenlos.“


Böcklin nimmt sich eine Pommes, dreht sie zwischen den Fingern und murmelt: „Vielleicht ist Kunst am Ende nichts anderes als ein Traum, der so lange existiert, wie wir ihn teilen.“

Pipilotti Rist lächelt. Und vielleicht ist sie genau dann am stärksten, wenn sie nicht festgehalten wird.“


Da grinst Nägeli Dann lasst uns was Neues anfangen. Kunst kann nicht gewinnen oder verlieren. Sie kann nur passieren. Warum habe ich wohl meine Männchen auf die Mauern gesprayt»?


Trump schüttelt den Kopf, schnappt sich seine Sonnenbrille und geht. „Ihr Künstler seid alle verrückt. Die Europäer sind verrückt“.


Während die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, bleibt ein Moment der Stille zurück. Dann zieht Pipilotti ihr Handy hervor, filmt den gesprühten Schriftzug auf dem Tisch, dreht sich einmal im Kreis, um das Licht der Neonröhren einzufangen, und sagt leise:


„Verrückt? Vielleicht. Aber genau das ist doch der Punkt.“ Bestellen wir doch noch eine Cola, ich habe da ein Tröpfchen, um sie zu veredeln.

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