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Der Trotti-Soldat

  • thomasvonriedt
  • 4. März
  • 3 Min. Lesezeit

Samstag, 1.3.25 aus Zürich Neu-Affoltern


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Es ist morgens kurz nach 08:00 Uhr. Der Himmel ist grau in grau, und ein bissiger, eisiger Wind weht. Aus dem Westen hört man dumpfes Grollen, es zieht durch das Land unaufhaltsam. Dann der Knall einer gewaltigen Implosion, gefolgt von lautem, vielstimmigem Geschrei und dem Krachen von einstürzendem Gebälk. Nein, es ist kein Unwetter über dem Napf.


Noch am gestrigen Abend zeigten die Nachrichten eine Welt im Sturm. Überall brennt es, während lauthals lamentiert wird. Mit Fingern wird gezeigt, Vorwürfe fliegen von links nach rechts und zurück. Drohnen kreisen unaufhaltsam, sie suchen mittels Künstlicher Intelligenz ihre Opfer und lassen zielgenau Granaten auf fliehende Soldaten niederregnen. Eine grausige Vorstellung: dem Spieltrieb von Nerds ausgesetzt zu sein, die ihre Kriegsspiele endlich live durchexerzieren können und dabei blutige Kredits scheffeln.


Ein Politiker versucht, die Schätze seines Landes gegen Kriegsmaterial für Frieden einzutauschen, oder muss er?  Er erlebt ein Kommunikationsfiasko mit einer orangen Muräne und fliegt unverrichteter Dinge wieder nach Hause. No Deal. Derweil lacht sich der blutlose Tyrann im Zwiebeltürmchen ins Fäustchen. Sein teuflisches Spiel scheint aufzugehen. Tatsächlich: Der bleichgesichtige Pfähler braucht kein Blut, um aufzublühen – das Leid anderer reicht vollkommen aus.


An der Straße nach Nordosten steht ein einsamer Soldat. Auf dem Rücken trägt er seinen Rucksack mit militärischem Hab und Gut. Ein AdA, ein Angehöriger der Armee, früher Soldat genannt, im stylischen TAZ-Tarnanzug. So viel praktischer als das in Portugal genähte "Vierfruchtpyjama" oder die einst kratzigen Uniformen der B-Ausstattung. Vermutlich trägt er Kampfstiefel in Größe 43, die an seiner schmächtigen Figur, allerdings wie ein 46 wirken. Kein Helm, keine Waffe – der bedauernswerte Kerl sieht völlig hilflos aus.


Was ist hier geschehen? Und was ist das für ein Transportmittel? In der Ferne wummern weiterhin gewaltige Explosionen, die eher wie laute menschliche Auseinandersetzungen klingen. Vielleicht ist das ein Shitstorm?


Früher reiste man zu seiner Truppe mit dem ÖV an, bewaffnet mit einem für die Hinfahrt gültigen SBB-Billet. Wer wusste schon, ob man jemals zurückkehren würde? Den gesamten "Karsumpel" auf Mann, inklusive Verpflegung für zwei bis drei Tage. Munition im Tornister, den Kaput gerollt und der Helm auf dem Tornister oder Rucksack geschnallt. Alles nach Packreglement Nr. 5 – oder war es Nr. 6? Das Schifflikäppi ordonnanzkonform aufgesetzt

Nichts und Niemand hätte damals den patriotischen Verteidiger der Nation bremsen können. Stolz hätten die alten Eltern dem Sohn hinterhergesehen, die Freundin oder Ehefrau hätte vielleicht eine Träne verdrückt. Jeder feindliche Schuss wäre an der breiten, vor Stolz geschwellten Brust der Winkelriedkinder abgeprallt.


Doch was macht denn der junge Mann am Zebrastreifen? Fragend schaut er auf die Ampel, ob sie endlich auf Grün springt. Sein Gefährt wird ihn sicher über die Straße und weiterbringen. Kann es sein, dass das VBS wirklich so knapp bei Kasse ist? Ist der Wehrmann, falls er denn einer ist, so schwach, dass er nicht mehr marschieren kann? Mütze auf, die "Braut des Soldaten" umgeschnallt? Haben die Netten und die Linken, die Besserwisser und Nachlässigen die Armee tatsächlich zu Tode gespart, sodass der Schweizer Soldat nun selbst sein Transportmittel stellen muss?


Die Kavallerie gibt es längst nicht mehr, die einst stolze Vorzeigetruppe wurde 1972 abgeschafft. Kaum zu glauben: Damals waren diese Männer so stolz, dass sie mit ihren Kavalleriestiefeln zu den Grenadieren einrückten. Müssen die heute Trottinet fahren?


Meine Augen täuschen mich nicht: Es ist ein Schweizer Soldat im Jahr 2025. Auf einem E-Trottinett, vermutlich auf dem Weg nach Hause oder zu seiner Einheit. Zufrieden lacht er. Sein Barett steckt in der Hosentasche, und es ist nicht zu erkennen, welcher Truppe er angehört. Meines Erachtens sollten Trottinettfahrer mit trendigen Sneakers ausgerüstet sein. Am Gürtel vermute ich eine Fernsteuerung für eine Drohne. Und als Kopfbedeckung könnte ich mir eine farbige Wollmütze vorstellen, die je nach Bedarf trendy bis über die Ohren gezogen wird.


Mittlerweile erscheinen in den sozialen Medien die ersten Meldungen zu den gehörten Detonationen. Gut informierte Kreise berichten, dass die Spitze des VBS sich in Auflösung befindet. Die Ministerin verteidigte sich lautstark, bevor sie wutentbrannt und Türen knallend durch die Herrentoilette das Gebäude verließ. Im großen Saal brüllen und gestikulieren immer noch jene, die es schon immer gewusst haben, mit jenen, die sowieso anderer Meinung sind. Die Welt kümmert es nicht. Aufgerüstet wird erst, wenn alles vorbei ist. Erst mal schauen und analysieren.


Dem Trottinet-Soldaten ist das egal. Er hofft auf funktionierende Ladestationen mit Strom aus umweltfreundlichen Quellen, schnappt sich noch einen Kebab und überquert, bewundert von den auf den Bus Wartenden, die Straße.


P.S. Hast auch du 9-Liter Mineralwasser zu Hause und das rote Büchlein, nicht das von Mao Tse Tung, sondern das Zivilverteidigungsbuch von 1969. Man weiß nie.

 

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