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Hätte, hätte, Fahrradkette

  • thomasvonriedt
  • 26. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit
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“Woulda, coulda, shoulda.”

 

Mein erster Kontakt mit dieser Redewendung war eine Karikatur – und zwar eine jener Zeichnungen, die man betrachtet und sofort weiss: Da hat jemand einen Golfer erwischt, genau im Moment zwischen Selbstrechtfertigung und Selbstmitleid. Herrlich entlarvend.

 

Im Internet stand dann die wissenschaftliche Definition: Eine Aufforderung, endlich aufzuhören, das Universum rückwirkend verbessern zu wollen. Kurz: Jammern bringt nichts, ausser dass es allen auf die Nerven geht – einem selbst eingeschlossen.

 

Unser „Hätte, hätte, Fahrradkette“ erfüllt denselben Zweck. Es verhindert, dass Menschen weiterhin verbal im eigenen Trümmerfeld herumstochern.

Doch heute bleiben wir bei den Golfern. Die sind Weltmeister im „Wenn, dann …“


 

Der heilige Akt der Vorbereitung


Es ist jedes Mal ein Schauspiel: Spieler betreten die Tee-Box wie Veteranen einer Schlacht, die ihnen niemand erklärt hat. Ein erster Probeschwung, so geschmeidig wie ein Bürostuhl, der seit 1994 nie geölt wurde. Dazu ein tiefes Räuspern, das an ein sterbendes Walross erinnert.

 

„Ich glaub’, ich muss noch mal“, sagt jemand mit Grabesstimme. Ein weiterer Hustenanfall, der Schläger schwingt wie eine Windmühle im Sturm, und beim dritten Versuch knackt es im Gelenk – oder im Selbstwert. Ab 60 verwischen diese Grenzen.

 

Ein gedehntes „Uuaahh“, ein müder Dehnversuch, und man erkennt:

Jetzt. Jetzt sind sie bereit – oder zumindest bereit genug, um es überzeugend so aussehen zu lassen.

 

Die Achterbahn der Eitelkeiten


Der erste Schlag gelingt. Natürlich. Das ist der perfideste Trick dieses Sports: Er lässt dich glauben, du könntest etwas.

 

Beim Loch, das heute gelingen muss, schaltet der Spieler dann in den „Ich-bin-ein-Profi“-Modus: konzentrierter Blick, eleganter Stand, alles perfekt – bis die Rückenwirbel beschliessen, dass es jetzt reicht. Ein gequältes „Uuuhh“, das man sonst nur aus Zahnarztpraxen kennt.

Vor Publikum wird selbstverständlich erst einmal die Lendenwirbelsäule abgerieben, damit alle wissen: Der Körper ist schuld. Immer der Körper.

Der Schlag folgt, ein schmerzliches „Ouuuuuh“ begleitet ihn – und der Ball segelt wie ein deprimierter Komet direkt in den Bunker.

 

„Links, links!“, ruft irgendein Optimist hinterher.

Aber Bälle, wie auch Hunde und Politiker, hören grundsätzlich nicht auf Zuruf.

 

Ein Mitspieler sagt trocken: „Spiegelei.“

Natürlich. Immer genau an der Stelle, die auch mit Presslufthammer nicht zu retten wäre.

 

Ab Loch 16 wird dann demonstrativ gehumpelt – ein Schutzmechanismus gegen die Frage, warum man spielt wie ein Mann, der seit Jahren keinen Ball mehr getroffen hat. Man probiert andere Bälle, andere Ausreden, aber das Ergebnis bleibt stabiles Mittelmass.

 

Der Schläger landet irgendwann beleidigt im Bag. Gereinigt wird heute nichts. Wozu auch? Wenn das Material wieder einmal „versagt“ hat, soll es wenigstens so aussehen.


 

Nach der Selbstzerlegung


Im Clubhaus – Tisch 19, natürlich, die Endstation für angeschlagene Egos – sitzt der Gescheiterte vor einem Bier, das heute eher nach Enttäuschung als nach Hopfen schmeckt. Zehn Stableford-Punkte weniger als die Freunde. Und das trotz intensiver Vorbereitung – also dem morgendlichen Kaffee.

 

Irgendwann beginnt das grosse Aufräumen in der eigenen Seele:

„Wenn ich heute Morgen … dann hätte ich … und jetzt könnte ich …“

 

Aber der routinierteste Spieler der Runde – jener Mann, der schon alles gehört hat, was Golfer an Ausreden erfinden – zieht den Stecker:

 

„Wenn meine Tante einen Pimmel hätte, wäre sie mein Onkel.“

 

Punkt. Satz. Sieg.

 

Rosi kommt zur Bestellung, und das Thema stirbt sofort einen gnädigen Tod.



Ja klar doch


„Das ist mein Bestseller“, sagte der Karikaturist Jon Jahraus, der mich überzeugt hat, 49 Dollar für ein Bild auszugeben, in dem ein Golfer sein Leben rechtfertigt. Perfekt getroffen. Man könne das Bild personalisieren. Ich überlegte kurz, wer es verdient hätte – und schenkte es mir selbst. Man soll ehrlich bleiben.

 

Jetzt sitze ich hier, schreibe diese Zeilen und denke an das ewige „woulda, coulda, shoulda“, das uns begleitet wie ein lästiger Caddie, der nie wieder auftauchen soll, aber immer wieder vor einem steht.

 

Wenn ich mehr Geld, mehr Zeit, mehr irgendwas hätte – ja, was dann?

Golfer kennen diese Endlosschleife:

 

„Hätte ich nur an der 7 nicht …“

„Wenn ich an der 12 …“

„Falls an der 4 …“

 

Es ist das Mantra eines Sports, der niemandem verzeiht, weder den Guten noch den Eitelsten.

 

„Fräulein, noch ein Bier“, ruft jemand, und meine philosophischen Ambitionen lösen sich in Gerstensaft auf.

 

Golf bleibt. Die Ausreden auch. Und dass „woulda, coulda, shoulda“ wird ewig leben – hier wie drüben im Land der unbegrenzten Rechtfertigungen.

 

Sonst hätte Jon Jahraus einen Bestseller weniger.

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