Here comes the night – Wie schnell sich die Dinge ändern.
- thomasvonriedt
- 17. Dez.
- 13 Min. Lesezeit

Koni
Koni, eigentlich Konrad, stand kurz vor dem Übertritt in die 9. Stufe. Seine Leistungen waren solide, wenn auch nicht herausragend. Seine Mutter drängte darauf, dass er im kommenden Jahr richtig Gas gebe, um den Grundstein für eine akademische Laufbahn zu legen. Sie träumte von einem Akademiker in der Familie, einem Arzt, während sein Vater ihn eher als angehenden Ingenieur sah – jemand mit einem sauberen Beruf, vielleicht einmal im weissen Kittel in einem Zeichenbüro.
„Die können gut träumen“, dachte Koni. Als hätte er in diesem Jahr nicht schon hinreichend Herausforderungen zu meistern gehabt. Der Fremdsprachenunterricht bereitete ihm Mühe, und im Sport war er wochenlang ausgefallen, weil ihn eine Knieverletzung lahmgelegt hatte. In der Folge wurde er aus der ersten Mannschaft suspendiert. Das nagte an seinem Ansehen, und die Mädchen begannen sich plötzlich mehr für den kräftigen Peter zu interessieren.
Peter: gross, schlaksig, grob im Gesicht – ein Typ aus der Kategorie „Ungehobelter Riese“. Mit seinem etwas zu langen Haar sah er aus wie eine missratene Mischung aus Beatmusiker und Bauarbeiter. Doch er hatte in den letzten Spielen einige spektakuläre Tore geschossen, und nach jedem Wochenende stand sein Name auf der Sportseite des „Tages-Anzeigers“. Er war nun Gesprächsthema Nummer 1.
„Ich weiss wirklich nicht, wohin ich mich entwickeln soll“, grübelte Koni, während er mit dem Füller Strichmännchen an den Rand seines Hefts zeichnete. „Arzt? An anderen Menschen herumbasteln, Abszesse öffnen, in Ohren stochern … Sicher, das bringt Geld. Besonders, wenn man später Schönheitsärztin – äh, Schönheitsarzt für schöne Frauen wird. Ingenieur? Ewig an Maschinen schrauben? Dann vielleicht doch lieber Arzt – jemand, der mit lebenden Dingen arbeitet.“
Eigentlich wollte er sich mit solchen Fragen noch gar nicht beschäftigen. Das tägliche Leben war ihm wichtiger. Er bewegte sich unauffällig durch den Schulalltag, schleppte seine abgewetzte Ledertasche von Stunde zu Stunde, erbrachte ordentliche Leistungen und blieb unter dem Radar grösserer Aufmerksamkeit. Mit dem Sport ging es wieder bergauf: Er war gross, kräftig, wendig, und sein Spielwitz kehrte zurück. Kein Vollstrecker, eher der Gestalter und Führer. Wenn das so weiterging, würde sein gutes Aussehen den Rest erledigen. Und es wäre ja gelacht, wenn jemand wie Peter bekäme, was er selbst für sich beanspruchte.
Zu seinen „Ansprüchen“ – so nannte er im Scherz die Mädchen, von denen er meinte, sie stünden ihm zu – gehörte Julie, die Königin der Schule.
Schlank, blond, mit tiefblauen Augen und vollen Lippen. Oft trug sie kurze Röcke, dazu weisse Stiefel oder schmale Ballerinas. Eine begnadete Tänzerin, stets auf dem neuesten Stand der Mode – ihre „Elle“ und die deutschen Jugendzeitschriften lagen wie Bibeln auf ihrem Nachttisch. Das Mädchen, das alle anderen gerne gewesen wären. Die Jungs lagen ihr zu Füssen, erhielten aber selten mehr als ein einladendes Lächeln. Auf Partys bildeten sie eine kleine Schlange, um wenigstens einen Song mit ihr zu tanzen. Zwei bis drei Minuten Hoffnung – vielleicht lief ja gerade ein langsames Stück.
Man konnte natürlich nachhelfen. Und Konis Freund Stevie war häufig DJ – ein Umstand, der sich auszahlen konnte. Er brachte seine Singles in abgewetzten Papphüllen mit, sortiert in einer Aluminiumkiste, die er wie einen Schatz bewachte.
Irene
Irene – von ihrer Mutter stets „Reni“ genannt – war seit einiger Zeit Konis Freundin. Sie liebte ihn leidenschaftlich und reagierte impulsiv, wenn jemand ein schlechtes Wort über ihn verlor. Einmal hatte sie einem Mädchen im Pausenhof, direkt neben dem klapprigen Veloständer, vor allen anderen eine Ohrfeige verpasst. Danach herrschte betretenes Schweigen.
Wenn sie mit Koni zusammen war, sog sie jeden Blick, jede Umarmung, jeden Kuss auf. Nichts war ihr wichtiger, als in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass er zu ihr gehörte. Natürlich drängte er manchmal, aber alle sagten, das sei normal bei Jungs. Knutschen gehöre dazu. Wer sich zierte, wurde schnell als „Baby“ abgestempelt.
Irene hatte mittellange dunkelbraune Haare und eine Figur, die den Jungs regelmässig Pfiffe entlockte. Vielleicht nicht so elegant wie Julie, aber ungemein attraktiv. Oft trug sie eng geschnittene Jeans und geblümte Blusen, die aussahen, als seien sie direkt aus einem Schaufenster in der City entführt worden. Im Sommer hatte sie sich im Bikini am nahen Fluss gezeigt, und seitdem war sie endgültig Gesprächsthema.
Ihre beste Freundin Marianne war ihre Vertrauensperson. Über sie erfuhr Irene auch, was Koni so tat, wenn sie nicht bei ihm war – wer im „Tea-Room“ hockte, wer beim Dorfbäcker gesehen wurde, wer nach der Schule in welche Ecke verschwand. Eifersucht war ihr nicht fremd. Doch bislang gab es keinen Grund dafür. Und dank ihrer guten Französischkenntnisse konnte sie ihm in seinem schwächsten Fach bestens Nachhilfe leisten. Diese Stunden bei ihr zu Hause wurden der Mutter allmählich etwas zu „intensiv“. Wenn die Schallplatte im Nebenzimmer zu laut knisterte, klopfte sie schon einmal an die Tür.
Julie
Jede Schule hat ihre Königin – Julie war die ihre. Äusserlich perfekt, innerlich jedoch ein Bündel Widersprüche.
Zu Hause lief vieles schief. Die Eltern waren zwar nicht getrennt, führten aber keine glückliche Ehe. Ihr Vater kam oft spät heim, roch nach Zigaretten und Büro, die Mutter blätterte in Versandhauskatalogen und seufzte. Julie fühlte sich häufig übersehen und suchte verzweifelt nach Anerkennung und Wärme. Materiell mangelte es ihr an nichts; ihre Freundinnen kämpften darum, sie auf Einkaufstouren in die Stadt begleiten zu dürfen, wenn neue Stiefel oder ein Minirock „à la London“ anstanden.
Früh hatte sie erkannt, welche Wirkung sie auf Jungen und Männer hatte. Sie wusste, wie leicht sie jemanden mit einem Lächeln, einem Wimpernschlag manipulieren konnte. Und es machte ihr Spass – zumindest am Anfang. Doch zugleich verachtete sie sich dafür. Denn hinter ihrem Spiel steckten Unsicherheit und Angst. Wenn jemand ihr zu nahekam, zog sie sich reflexartig zurück. Nicht selten sass sie abends in ihrem Zimmer, liess eine Platte von Françoise Hardy laufen und starrte ins Leere.
In letzter Zeit lief Peter ihr nach jedem Spiel hinterher. Nett war er, ja. Aber sein Gesicht erinnerte sie an den Neandertaler aus dem Geschichtsunterricht, und seine grossen Hände ekelten sie an. Die Vorstellung, dass er später Toiletten montieren würde – und sie anfassen sollte –, verursachte Gänsehaut.
Aber dann war da noch Konrad. Attraktiv, guter Tänzer, einst dafür vorgesehen, einmal Medizin zu studieren. Und mit sanften, gepflegten Händen, wie sie hoffte. Seine Freundin Irene interessierte sie dabei wenig. Sie wollte ihn – und sie wusste genau, wie sie ihn bekommen konnte. Irene war für sie kein Hindernis, das sie nicht überwinden konnte.
Party Time bei Lotte
Koni lebte wie gewohnt in den Tag hinein. Schule, Hausaufgaben, Training – und Zeit für Irene. Die Partysaison hatte begonnen, und jeder, der ein Haus mit Keller hatte, lud ein. Wer eine Waschmaschine im Eck und eine nackte Glühbirne an der Decke vorweisen konnte, war praktisch partytauglich.
Auf Partys wurden Paare geformt, Kuss-Techniken verfeinert und BH-Verschlüsse geübt. Koni und Irene gehörten zur vorderen Linie der Szene und hatten dank Stevie Einfluss auf die Musikauswahl. Meist gab es alkoholfreie Getränke, doch gelegentlich mischte jemand Cola oder Orangensaft mit billigem Whisky oder Gin, heimlich aus der Hausbar der Eltern stibitzt.
Die Musik spaltete die Partygäste: Schlager hier, Hitparaden-Fans dort, Beatles-Liebhaber überall. Fortschrittliche Musik wie von den Doors hörte man nur im kleinen Kreis – dafür umso lauter. Wenn Stevie die Nadel auf eine neue Single setzte, knisterte es kurz, bevor die Gitarren loslegten.
„Koni, am Samstag ist bei Lotte im Keller eine Party. Wir gehen hin, oder?“
„Klar. Ich habe zwar am Nachmittag ein Match, aber ich schaffe es rechtzeitig.“
Zum ersten Mal würden sie getrennt auftauchen, bemerkte er beiläufig. Ein Detail, dem er keine Bedeutung beigemessen hatte.
Als er am frühen Abend durch Girlanden und bunte Lampen in den Partykeller trat – an der Decke glitzerte eine Spiegelkugel, die Lottes älterer Bruder vom letzten Dorffest mitgebracht hatte –, waren die meisten schon da: Irene tanzte mit Walter, ausgerechnet, Stevie jonglierte Platten, Edi plauderte mit Marianne. Nur Julie tanzte nicht – ungewöhnlich.
„Als würde sie auf mich warten“, dachte Koni. Tatsächlich, kaum war er im Raum, steuerte sie zielsicher auf ihn zu. „Hey Koni, endlich bist du gekommen. Magst du eine Cola?“
„Hmm, ja, warum eigentlich nicht?“, antwortete er, völlig geblendet und perplex. Ohne Irene erst zu begrüssen, begleitete er Julie an die improvisierte Bar – einen Tapeziertisch mit kariertem Tischtuch und einer Batterie aus Flaschen. Irene bemerkte jedoch sofort die unerwartete Konkurrenz, blieb aber gefasst und tanzte weiter. Sie verfolgte verstohlen das Geschehen und wartete nur darauf, dass die Musik endete. Dann würde sie eingreifen. Sie sah, wie Koni schon fasziniert von Julie war und wie eine Motte vom Licht angezogen wurde.
Und jetzt gingen die beiden auch noch tanzen! Als Koni und Julie gemeinsam auf der Tanzfläche schwebten und die anderen ihnen gar noch Platz machten, kochte Irene innerlich. Julie schien alles zu unternehmen, um seine totale Aufmerksamkeit zu gewinnen. Irene fand keine Möglichkeit, sie davon abzuhalten.
Endlich endete das Stück, und Irene marschierte sofort auf Koni zu, um ihn mit einem Begrüssungskuss zu empfangen, während sie Julie einen giftigen Blick zuwarf.
Das stille Duell um den Platzhirsch war eröffnet. Den ganzen Abend lang wechselten sich die beiden beim Tanzen mit ihm ab. Mal dröhnte „Hey Jude“, dann ein Schlager, dann wieder ein langsames Stück. Koni hatte viel Spass an diesem Spiel. Der Gedanke, im Mittelpunkt des Interesses zweier Mädchen zu stehen, gefiel ihm.
Gegen Mitternacht endete die Party. Die letzte Single war gelaufen, die Luft roch nach Rauch und Limonade. Niemand ahnte, dass die Saat für Ärger bereits gepflanzt war.
Spannung auf dem Pausenplatz
Irene war innerlich völlig aufgewühlt. Wie konnte Koni sie vor allen Freunden und Freundinnen so blamieren? Merkte dieser Hammel nicht, dass er mit ihr spielte? Das würde sie sich nicht gefallen lassen. Sie beschloss, zu kämpfen – um ihn und gegen die blonde Rivalin.
Sie würde ihr zeigen, dass man ihr nicht einfach so den Freund wegnehmen konnte. Nach der Schule wollte sie mit Koni über die Sache sprechen.
Als die Pausenglocke läutete, sah sie Koni aus der Ferne auf dem Hof. Da war sie wieder, die Blondine, die ihn verführerisch anlächelte, mit den Hüften wackelte und ihr langes Haar im Wind flattern liess. Neben dem Veloständer, wo die Töffli und Fahrräder dicht an dicht standen, wirkte die Szene wie ein Standbild aus einem Film. Koni neben ihr – abwesend, lässig winkend, während er Irene auf 16:00 Uhr nach der Schule vertröstete.
Pünktlich wartete sie am Schuleingang, und schliesslich kam er mit Julie daher, als wäre nichts geschehen. Irene kochte innerlich, und man konnte es ihr ansehen. Mit einem leicht abschätzenden „Ciao, Irene. Wir sehen uns“, stolzierte Julie an ihr vorbei. Koni schaute ihr verliebt hinterher. Irene nahm ihn am Arm und merkte schnell, dass es fast vergebliche Liebesmüh war.
„Gehst du jetzt mit ihr? Was hat sie, was ich nicht habe? Liebst du mich nicht mehr?“ feuerte sie Fragen auf Koni ab.
„Doch, doch, Irene. Da ist nichts. Sie ist nur eine Freundin. Wir tanzen gut miteinander und das ist alles. Ganz ehrlich, da läuft nichts“, erwiderte er und versuchte, die unangenehme Situation zu überspielen. „Du bist aber eifersüchtig.“ Vor dem Haus von Irene angekommen, verabschiedete er sich wie gewohnt. Doch der Kuss schmeckte nicht mehr so süss wie früher.
„Ach, diese Mädchen“, dachte er, während er Richtung Zuhause schlurfte. „Kaum schaut man eine andere an, werden sie wild.“
Zu Hause bemerkte seine Mutter seine gedrückte Stimmung, fragte aber nicht weiter nach. Beim Abendessen, während im Hintergrund die Abendnachrichten aus dem Radio plärrten, erkundigte sie sich vorsichtig nach Irene. „Du hast schon lange nichts mehr von ihr erzählt. Ist sie immer noch deine …?“ Sie verschluckte das Wort „Freundin“ und war sich zudem nicht sicher, wie tief die Beziehung tatsächlich war.
„Ja, alles bestens, nichts Neues. Sie hilft mir immer noch beim Französisch“, drückte sich Koni um eine genaue Antwort herum.
Als er in seinem Zimmer ein paar blonde Haare auf dem Pullover entdeckte, entsorgte er sie rasch. Man wusste nie. Mutter würde sicher sehr insistierend fragen.
Eklat bei Edi
Die nächste Party fand bei Edi statt. Wieder waren dieselben Leute da. Die Musik lief lauter als sonst. Edi lebte mit seinen Eltern im eigenen Einfamilienhaus und musste kaum Rücksicht nehmen – sein Vater war an diesem Abend im Turnverein, die Mutter bei den Nachbarinnen zum Jassen. Er war ein grosser Fan des Blues, und so liefen auch Stücke von Van Morrison & Them und vielen anderen britischen Bluesbands. Er konnte auch hervorragend Klavier und Gitarre spielen und unterhielt seine Freunde gelegentlich mit einem rassigen Boogie, bei dem die Mädchen mit den Füssen wippten.
Koni war nicht gerade in bester Stimmung. Irenes Eifersucht nervte ihn etwas, aber allerdings empfand er Julies Werben als sehr schmeichelhaft. „Ich mache doch, was ich will“, dachte er. „Wo steht geschrieben, dass ich nur mit Irene zusammen sein muss?“ Koni war hin- und hergerissen.
Als Van Morrison „Here Comes the Night“ sang, schmiegte sich Julie eng an ihn, ihr Parfum stieg ihm in die Nase, und sie küsste ihn sanft, mit einem kleinen Biss ins Ohr. Für einen Moment existierte die Welt nur aus diesem Song und ihrer Nähe.
Irene sah es, als hätte jemand das Licht auf eine Bühne gerichtet: Julie an seiner Brust, seine Hände an ihrer Taille, seine Augen geschlossen. Das leise Schimmern der farbigen Glühbirnen, die Musik, das Lachen – alles drehte sich, nur dieses Bild stand still. Ohne ein Wort drehte sie sich um und verliess die Party. Niemand hielt sie auf. Es war zu viel. So viel Arglist hatte sie Koni nicht zugetraut.
Koni bemerkte ihren Abgang nicht. Julies Nähe, ihr Lachen, ihr Körper – alles andere wurde unwichtig. Er fühlte sich wie der Held in einem Film, den alle anderen nur anschauen durften. Van Morrison sang weiter, doch Koni hörte nur sein eigenes Blut in den Ohren. Er sah alles durch die rosarote Brille und vergass Irene völlig. Julie spürte seinen Kurswechsel und genoss ihren Sieg. Sie hatte ihn erobert, und die ganze Schule würde es nächste Woche wissen – spätestens, wenn die ersten Gerüchte in der Pause kursierten.
Van Morrisons Lied klang aus, doch die beiden verstanden seine Worte nicht. Die Nacht gehörte ihnen – glaubten sie zumindest.
Marianne rannte Irene nach und fand sie in kompletter emotionaler Auflösung. Einerseits war da die Neugier, andererseits auch das Mitgefühl. So begleitete sie die weinende Irene tröstend nach Hause. Unterwegs leuchteten die gelben Strassenlampen auf den nassen Asphalt. Gemeinsam fassten sie einen Entschluss: Koni sollte bestraft und Julie ausgegrenzt werden.
Obschon ihr das Herz blutete, schwor sich Irene, dass sie ihn fallen lassen würde.
Showdown
Am Montag in der Schule konnte man Irene noch ansehen, dass sie wahrscheinlich das ganze Wochenende durchgeweint hatte. Ihre Schulfreundinnen scharten sich um sie, lehnten an Garderobenschränken und Veloständern und wollten die neuesten Neuigkeiten hören. Es war offensichtlich, dass sie die Unterstützung aller Mädchen hatte. Die blonde Julie wurde ausgegrenzt, und der treulose Koni sollte für sein Verhalten bitter büssen. Obschon ihr Herz nicht so hart sein wollte, liess Irene sich mitreissen von der Devise, die beiden gemeinsam von der Clique auszuschliessen.
Die Neuigkeiten verbreiteten sich auf dem Schulhof wie der Blitz, noch schneller als die Ergebnisse der Fussballmeisterschaft. Während die Mädchen Irene trösteten, genoss Koni bei den Jungs immer noch Ansehen für seine Eroberung an der letzten Party – ausser bei Walter, der nur den Kopf schüttelte.
Julie stellte rasch fest, dass niemand mehr etwas mit ihr zu tun haben wollte; ausgegrenzt wie eine Leprakranke. Selbst im „Tea-Room“ blieb neben ihr plötzlich der Stuhl leer.
Irene trennte sich vor aller Augen von Koni und rannte dann weinend davon. Sie hasste Julie und liebte Koni immer noch. Diese Wunde müsste er schliessen. Marianne stand ihr zur Seite, und Walter übernahm die Beschützerrolle. Ausgerechnet er buhlte nun darum, als Ersatz einzuspringen.
Absturz
Die Situation mit Irene war ihm unangenehm. Koni sah ein, dass er die Konsequenzen tragen musste, hatte er sie doch verursacht. Eine leise Reue kam auf. Ritterlich war sein Verhalten nicht gewesen, und irgendwo litt seine Irene sicher noch.
Er wollte sich nun auf Julie konzentrieren, obwohl er tief im Inneren fühlte, dass diese Beziehung nicht von Dauer sein würde. „Ein Mann muss seinen eigenen Weg gehen“, dachte er. „So steht es in all diesen Zeitschriften.“ Er dachte an die Ratgeberartikel über „starke Persönlichkeiten“, die er gelegentlich in Jugendmagazinen sah, und wollte nicht weiter darüber nachdenken.
In der Schule sahen sie sich regelmässig von weitem. Ihre Augen sprachen Schmerz und Verlangen, Reue und Entschuldigung. Es fehlte der Mut, aufeinander zuzugehen. An einem Abend trafen sie sich rein zufällig am Eingangstor des Schulhauses, als der Himmel schon dunkel war und nur noch ein paar Töffli vom Hof knatterten. Verlegen begrüssten sie sich, und nach einigen Sprechversuchen stammelte Koni eine Entschuldigung. Sie merkten, dass ihre gemeinsame Zeit mehr als nur ein Spiel war. Der Bruch hatte sie reifen lassen, das Rad zurückdrehen wollten sie beide nicht mehr.
Einige Partys verpasste er bewusst, um Gras über die Sache wachsen zu lassen. Wenn irgendwo Musik aus einem Keller dröhnte, zog er manchmal den Kopf ein und lief weiter.
Mit der Zeit zeigte Julie ihm zunehmend die kalte Schulter. Entweder hatte sie keine Zeit, musste ihren Eltern bei etwas helfen oder schob einen Abendkurs als Entschuldigung vor. An einem Mittwochnachmittag, als sie Schlittschuh laufen waren und er vergeblich versuchte, ein paar Küsse zu erhaschen, drehte sie sich einfach weg. Die Musik aus den Lautsprechern am Eisfeld klang blechern, während sie an der Bande stehen blieben.
„Was ist denn mit dir los? Darf ich dich nicht mehr küssen?“ Sie blieben an der Bande stehen, und er kochte vor Wut. Gerade als er unhöflich werden wollte, antwortete Julie mit einer nie gezeigten Kälte: „Es tut mir leid, Koni, es ist vorbei! Ich habe jetzt einen richtigen Mann gefunden!“
Wie ein Schlag traf es ihn. Später erfuhr er, dass sie mit einem älteren Jungen unterwegs war, einem Rollerfahrer mit schwarzer Lederjacke. Koni erlebte am eigenen Leib, wie weh eine unerwartete Trennung tat. Jetzt verstand er Irene, nur zurück konnte er nicht mehr. Sie und Walter hatten sich zusammengetan.
Neuer Anfang
Erstaunlich schnell rappelte sich Koni auf. Irene weg, Julie weg – so ist das Leben. „Es geht weiter“, sagte er sich, „und schliesslich gibt es noch einige Mütter mit hübschen Töchtern.“ Er traf einige Leute, die er nicht kannte, vermutlich von anderen Schulen, und einige, die bereits in einer Lehre waren und in ölverschmierten Arbeitskleidern direkt von der Werkstatt zur Party kamen.
Gegen 22:00 Uhr hörte er das knatternde Geräusch eines Rollers, und dann öffnete sich die Tür. Julie kam mit einem jungen Mann herein. Vespa, natürlich. Seine Julie und der Rollerfahrer? Die geborene Partykönigin grüsste nach links und rechts, als wäre nie etwas gewesen, und zog ihren Neuen hinter sich her.
Dann entdeckte sie Koni und rief ihm lachend zu: „Hey Koni, alles klar?“ Für einen kurzen Augenblick stiegen in ihr Erinnerungen an die gemeinsame Zeit auf, ein Lächeln ging ihr über das Gesicht. Es war wie ein Déjà-vu. Dann wandte sie sich wieder ihrem Begleiter zu.
An diesem Abend hatte Koni Mona kennengelernt – das sah vielversprechend aus. Sie trug ein schlichtes Kleid und lachte über dieselben Witze wie er. Die Party entwickelte sich gut, und der Sound gefiel ihm: ein bisschen Beatles, ein bisschen Blues, ein paar aktuelle Hits aus der Hitparade von Radio Beromünster. Ungewöhnlich früh verliessen Julie und ihr neuer Freund die Feier, und Koni hörte ihn noch abschätzig murmeln: „Kinderkram“, obwohl er kaum älter war. Aber was soll's?
Koni setzte sich neben Mona auf die Fensterbank, legte den Arm um sie und schaute dabei durch das Fenster kurz Julie nach. Dabei dachte er: „Verrückt, wie schnell sich die Dinge ändern können. Zum Glück habe ich Mona gefunden“, und lächelte sie an.
Van Morrison sang derweil „Here Comes the Night“ und der Mond am Himmel lächelte den jungen Leuten zu: Koni und Mona, Irene mit Walter, Julie und ihr Neuer.
Here comes the night
Text von Bert Berns 1964, veröffentlicht 1965 von der Nordirischen Band
Them mit Frontman Van Morrison.
Schlussstrophen
She's with him
He's turning down the lights
And now he's holding her
The way I used to do
I could see, her closing her eyes
And telling him lies
Exactly like she told me, too
Yeah-yeah-yeah
Well, here it comes
Here comes the night
The long, the long and lonely night
Night, night, night, night, night, night
Whoa, here comes the night










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