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Haifischalarm!

  • thomasvonriedt
  • 17. Dez.
  • 7 Min. Lesezeit
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Jedes Jahr im Juli im Eagle Lakes Golf Klub kämpfen ehrgeizige Spielerinnen und Spieler um die Shark Trophy – eine Trophäe, gestiftet von Sam, einem ehemaligen Haifischjäger und passionierten Golfer. Für viele war dieses Turnier der Höhepunkt der Saison. Dieses Mal wollte Max, seit Jahrzehnten Klubmitglied und noch immer erstaunlich ehrgeizig, endlich seinen Namen auf den Pokal graviert sehen.

 

Der Totwächter winkte Max, dem Meister des Grüns, zu und liess ihn passieren. Es war drückend heiss, knapp 30 Grad, und der Wetterbericht hatte bereits am Morgen heftige Gewitter angekündigt. Am Himmel türmten sich graublau Wolken, in der Ferne grollte es schon leise. Das Management wies mit einem grossen Plakat auf das alljährliche Event hin. Dem Gewinner winkte nicht nur Ansehen im Klub, sondern auch ein verlockender Preis: eine Runde auf dem berühmten TPC Sawgrass in Ponte Vedra. Für Max, der schon viele Plätze gesehen hatte, aber diesen noch auf seiner „Bucket List“ hatte, war das Motivation genug.

 

Über den Bäumen summte eine kleine Biene ihre Kreise. P. Bee, eine belesene Biene aus Bath-Argovia, die mehr Zeit an Bibliotheksfenstern als an Blüten verbrachte, war ebenfalls unterwegs. Sie suchte eigentlich nur etwas Ruhe und ein paar duftende Blumen – und ahnte nicht, dass sie bald in ein Golfabenteuer geraten würde.

 

Der Start des Turniers verlief vielversprechend. Max’ Abschläge waren solide, die Bälle flogen, wie er es sich vorgestellt hatte. Er hatte sich vorgenommen, „nicht mehr so zu verkrampfen wie früher“ – ein Vorsatz, den er spätestens auf Loch 1 schon wieder halb vergessen hatte.

 

Bereits an Loch 6 jedoch zog sich der Himmel plötzlich zu, und ein sintflutartiger Regen setzte ein. Innerhalb weniger Minuten verwandelte sich die Spielbahn in eine Seenlandschaft. Bald stand Max bis zu den Knöcheln im Wasser, während der Regen unaufhörlich auf ihn prasselte. Zu optimistisch war er ohne Regenjacke, -hose und sogar ohne Schirm gestartet.

 

Er hätte sich ohrfeigen können. Aber Golf ist nun mal ein Outdoorsport, sagte er sich, und nichts für Warmduscher. Seine heissgeliebte Schiebermütze aus Grossbritannien würde wohl Schaden nehmen; schon bald tropfte das Wasser vom Schirm und lief ihm in den Nacken.

 

Das Gelände rund um das Klubhaus stand bereits unter Wasser. Die Schäden würden erheblich sein, und Max dachte bei sich, dass man wohl einige Wochen lang eher Wasserball als Golf würde spielen können. Für einen Moment liess der Regen nach. Wer konnte, flüchtete ins Klubhaus, stellte Schuhe und Socken zum Trocknen hin und versuchte, sich unter Haartrocknern aufzuwärmen.

Max, der wie so oft „nur noch diesen einen Schlag“ machen wollte, stand noch immer im Wasser, als er plötzlich etwas Merkwürdiges bemerkte. Aus dem trüben Nass schien eine Flosse zu ragen. Er blinzelte, rieb sich die Augen. Ein Hai? Auf dem Golfplatz? Nur weil ein wenig zu viel Wasser vom Himmel gekommen war?

 

Doch die Flosse blieb. Und sie bewegte sich.

 

Der Hai, ein mächtiges Tier mit bronzeschimmernder Haut, zog langsame Kreise, die immer enger wurden. Max’ Mund wurde trocken – trotz des Regens. Wie in aller Welt war ein solches Raubtier auf die Anlage gelangt? Bei diesen Wassermassen hätte er eher an hässliche Alligatoren oder entwischte Pythons gedacht. Eine vernünftige Erklärung fand er nicht. Und das Management würde wohl kaum eine solch gewagte Marketingaktion starten, um das Turnier populärer zu machen … oder doch?

 

Um Max herum trieben verlorene Golfbälle, die bei normalem Spiel längst im Rough oder im Bunker versunken wären. Nun suchten sie, genau wie er, das rettende Ufer. Max stand inzwischen fast bis zum Hals im Wasser. Mit seinem Golfschläger versuchte er, sich Schritt für Schritt in Richtung eines hölzernen Stegs zu kämpfen.

 

Der Hai änderte plötzlich die Richtung und schoss auf ihn zu. Das Maul weit aufgerissen, drei Reihen scharfer Zähne deutlich sichtbar. Für diesen Räuber war Max nur ein kleiner, verlockender Happen.

 

Alles, was Max zur Verfügung stand, war sein Sandwedge. Noch kurz zuvor hatte er damit seinen roten Ball aufs Grün pitchen wollen; jetzt war der Ball irgendwo in den braunen Fluten verschwunden. Max spürte sein Herz rasen. Er hatte viele Runden Golf gespielt, aber noch keine, bei der es buchstäblich um Leben und Tod ging.

 

Er machte sich innerlich bereit, mit seinem Handicap, seiner Golfkarriere und auch mit seinem Leben abzuschliessen. Er meinte schon, den üblen Atem des Hais zu riechen – ob das überhaupt möglich war, darüber konnte er später nachdenken. Der Tod schien unvermeidlich.

 

In genau diesem Moment kam P. Bee ins Spiel. Die belesene Biene, die eigentlich nur in Ruhe über den Blumenbeeten des Klubs hatte schweben wollen, hatte das seltsame Treiben beobachtet. Sie sah die Not des Golfers, summte entschlossen tiefer und landete etwas unsanft auf Max’ nasser Schiebermütze.

 

Max erschrak, verlor das Gleichgewicht und tauchte kopfüber unter. Er schluckte einen ordentlichen Schluck von der bräunlich-grünen Brühe. Während er prustend wieder auftauchte, nutzte P. Bee ihre Chance: Mit einem überraschend kräftigen Stich setzte sie dem Hai mitten im Schlund einen Punkt, an dem normalerweise nur grosser Fischhaken oder Zahnärzte hinkommen.

 

Für eine kleine Biene war das ein gewagtes Manöver – aber an diesem Tag schien die Natur ein paar Sonderregeln eingeführt zu haben.

 

Das Bienengift zeigte Wirkung. Der Hai stoppte abrupt, seine Bewegungen wurden langsamer. Sein Maul schloss sich, der Schlund schwoll an, und er schnappte nach Luft, die er unter Wasser natürlich nicht finden konnte. Max nutzte den Moment, um sich mit letzten Kräften aus dem tieferen Wasser zu schleppen und den Steg zu erreichen, wo er schliesslich erschöpft und vor Kälte zitternd liegen blieb.

 

Der Hai sank zurück in die Tiefe, röchelte – soweit man bei einem Hai von Röcheln sprechen kann – ein paar Mal, und seine Augen wurden stumpf. Für ihn war diese Überflutung des Golfplatzes weniger glimpflich ausgegangen.

 

P. Bee, in Erster Hilfe bestens geschult – zumindest in ihrem Verständnis davon – setzte sich auf Max’ Bauch und drückte mehrmals kräftig zu. Zu seiner eigenen Überraschung spuckte Max tatsächlich Wasser aus, als hätte er einen Erste-Hilfe-Kurs für Golfer absolviert. Seine Lebensgeister kehrten zurück.

 

Die belesene Biene schob ihre winzige Brille zurecht, liess ihre filigranen Flügel vibrieren und machte sich auf den Heimflug. Es gab schliesslich Wichtigeres zu tun, als ehrgeizige Golfer in lebensgefährlichen Wasserschlachten zu retten. Etwa ein halb fertiges Buch über Wildblumen im Schlosspark fertig zu lesen.

 

Max sass noch immer schlotternd auf dem Ponton, als er ein Rauschen über sich hörte. Ein grosser Schatten glitt über den Platz. Es war ein American Eagle – diesmal kein Birdie auf der Scorekarte, sondern ein echter Adler mit scharfen Augen und kräftigen Krallen. Aus der Luft hatte er das Ende des Hais beobachtet und witterte eine willkommene Mahlzeit. In seinem Horst warteten viele hungrige Schnäbel.

 

Der Adler schoss hinab, packte den leblosen Hai an einer Flosse und versuchte, ihn mit kräftigen Flügelschlägen aus dem Wasser zu heben. Der Fisch war allerdings deutlich schwerer als alles, was er sonst so aus Seen und Flüssen zog. Nach einigem Ringen entschied der Adler offenbar, die Beute zumindest näher ans Trockene zu bringen, um sie in kleineren Teilen abtransportieren zu können.

 

Aus der Höhe sah er, wie der Golfplatz aussah: Die Fairways standen unter Wasser, die Grüns ragten wie kleine Inseln heraus. Ein ungewöhnlicher Anblick – selbst für einen Adler. Mit einem kräftigen Schlag entglitt ihm der Hai schliesslich aus den Krallen und klatschte auf das Green von Loch 11. Dort blieb er liegen – ein ziemlich makabrer „Greenkeeper“.

 

Allmählich beruhigte sich das Wetter. Die dunklen Wolken verzogen sich, die Sonne kämpfte sich hervor, der Regen liess nach und hörte schliesslich ganz auf. Die Golfer, die im Klubhaus Unterschlupf gefunden hatten, trauten sich wieder hinaus und begrüssten die Sonne wie einen alten Freund.

 

Über dem Platz stieg ein feuchter Dunst auf, die Wassermassen zogen sich langsam in die Teiche und Gräben zurück. Natürlich war der Platz noch weit davon entfernt, perfekt bespielbar zu sein, aber im Eagle Lakes Golf Klub war man pragmatisch: Wenn die Bedingungen für alle gleich schwierig sind, kann man immer noch Golf spielen.

 

Die E-Carts wurden vorsichtig wieder in Betrieb genommen, und nach einer kurzen Diskussion beschloss das Management, das Turnier – in leicht verkürzter Form – fortzusetzen. Die Shark Trophy einfach abzusagen, kam für niemanden infrage. Schon gar nicht für Max.

 

Trotz der dramatischen Ereignisse – oder vielleicht gerade ihretwegen – spielte Max in der Folge wie in Trance. Er hatte begriffen, wie schnell alles vorbei sein kann. Plötzlich erschien ihm jeder Schlag, jede Bahn, jeder Putt als Geschenk. Er nahm sich vor, jeden Moment bewusst zu geniessen, statt sich zu verkrampfen oder alles auf ein Ergebnis zu fixieren.

 

Mit dieser neuen Gelassenheit spielte er sich von Loch zu Loch. Ausgerechnet auf dem Fairway von Loch 11, wo der Hai unsanft gelandet war, stand er wenig später wieder am Ball. Sein roter Ersatzball lag in guter Position – der ursprüngliche Ball war ja irgendwo in den Fluten verloren gegangen.

 

Mit wenigen Schlägen brachte er den Ball aufs Green. Die Situation war etwas schaurig, denn in unmittelbarer Nähe des Lochs lag der inzwischen deutlich mitgenommene Körper des Hais. Die Greenkeeper hatten noch keine Möglichkeit gehabt, diesen ungewöhnlichen „Hindernisstein“ zu entfernen.

 

Der tote Hai schien Max mit leer wirkenden Augenhöhlen anzustarren. Ein leiser Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Er atmete tief durch, stellte sich über den Ball, schätzte die Distanz und vertraute auf sein Gefühl. Mit einem ruhigen, sauberen Putt versenkte er den Ball im Loch. Noch ein Birdie!

 

Ironie des Tages: Nicht nur der Adler hatte einen „Eagle“ versucht – Max spielte sein bestes Golf direkt neben der wohl ungewöhnlichsten Wasserleiche der Clubgeschichte.

 

Die Turnierspieler, die das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtet hatten, jubelten. Es war eine Mischung aus Erleichterung – der Hai war Geschichte – und Freude darüber, dass der Platz sich das Spiel zurückerobern liess.

 

Es war Max’ grosser Tag. Sein Schwung, seine Konzentration, seine neue Gelassenheit – alles passte. Nicht einmal das Abenteuer mit dem Hai und die Rettung durch die belesene Biene konnten ihn von seinem Ziel abbringen. Am Ende stand fest, was viele schon ahnten: Max gewann die Shark Trophy souverän.

 

Später, am Abend, wurde der riesige Kopf des Hais präpariert und an der Decke des Clubhauses befestigt. Dort hängt er seitdem über der Bar. Manch ein Golfer zieht, instinktiv den Kopf ein, wenn er von den kalten, schwarzen Knopfaugen angestarrt wird.

 

Sam, der ehemalige Haifischjäger und Stifter der ursprünglichen Trophäe, klopfte Max auf die Schulter. Gemeinsam planten sie das nächste Turnier. „Nach diesem Jahr“, sagte Sam, „brauchen wir eine neue Trophäe. Etwas Besonderes.“ Max war sofort bereit, als Sponsor aufzutreten. Ein befreundeter Goldschmied entwarf ein Werk, das sich sehen lassen kann: eine stilisierte Haiflosse aus edlem Metall, die an Gefahr erinnert – und an die Freude, wenn man sie übersteht.

 

Wie und warum der Hai an diesem Tag wirklich auf den Golfplatz gelangt war und weshalb ausgerechnet P. Bee zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, konnte niemand schlüssig erklären.

 

Sicher ist nur eines: Der Kopf des riesigen Fisches ziert die Decke des Clubhauses, und mit jedem Glas, das an der Bar getrunken wird, werden die Geschichten über den Hai etwas fabelhafter.

 

Und wenn die Seniorgolfer von Eagle Lakes heute über ihre besten Runden sprechen, dann erzählen sie nicht nur von Pars, Birdies und verlorenen Bällen – sondern auch von jenem Tag, an dem eine Biene einen Hai stach und ein Golfer lernte, wie wohltuend entspannt man spielen kann, wenn man das Leben ein wenig gelassener nimmt.

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