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Duschen in England – Die unterschätzte Kunst des Überlebens

  • thomasvonriedt
  • 17. Dez.
  • 5 Min. Lesezeit
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Warst du schon einmal in England und hast dort versucht zu duschen? Ich meine nicht in einem 4-Sterne-Hotel, sondern in einem dieser typischen B&Bs, in denen man weniger übernachtet als vielmehr in eine fremde Familiengeschichte eintaucht. Noch nie? Dann hast du eine Erfahrung verpasst, die man mit Worten kaum erklären kann – sie muss erlebt werden.

 

Ich kenne dieses Land gut. Ich habe es oft bereist, dort gelebt, mich über Eigenheiten gewundert und mich schliesslich genau in sie verliebt. Alles wirkt ein wenig widerspenstig, aber auf charmante Weise: Linksverkehr, ein metrisches System auf halbem Weg, Münzen mit ewig junger Monarchin, Kreisverkehre, so gross wie Galaxien, und ein Pint, das ohne Schaum serviert wird – als sei Luft eine Beleidigung für das malzige Wesen des Biers. Und wer heute noch glaubt, man esse hier nur Fish and Chips, hat das neue kulinarische England nie betreten.

 

Warum Orangenmarmelade einfach „Marmalade“ heisst und alles andere streng „Jam“ genannt wird, bleibt eines dieser britischen Geheimnisse, die sich vermutlich nur bei Vollmond offenbaren. Ebenso wie die Tatsache, dass irgendwo im Land immer ein Gentleman mit Barbour-Jacke, farbenfroher Krawatte und einem treu ergrauten Land Rover unterwegs ist. Es hat Stil. Und ich liebe es.


 

Ankunft in einem anderen Zeitalter


In jüngster Vergangenheit reisten wir als Familie erneut zu den Inselbewohnern – in das Land des milden Biers, des unberechenbaren Himmels und der noch unberechenbaren Technik. Vom Flughafen Heathrow führte uns ein in die Jahre gekommener Kleinbus gen Westen. Irgendwann, irgendwo auf der M4, baten die Reifen um frische Luft. Die Frage, wie man britische Pumpautomaten bedient, fühlt sich ungefähr so an wie der Versuch, einen Druidenstein zu entziffern. Doch irgendwie schafft man es – England belohnt Mut.

 

Je weiter wir fuhren, desto enger wurden die Strassen, desto höher die Hecken. Diese B-Roads wirken, als wären sie von römischen Legionären getreten und seitdem nie mehr verbreitert worden. Die Landschaft dahinter ahnt man nur – Felder, Hügel, Dörfer, Schafe. Unzählige Schafe. Ich war mir nicht sicher, ob sie wirklich traurig blickten oder ob die Insel einfach so gern dramatisches Licht auf ihre Kreaturen wirft.

 

Endlich erreichten wir unser Ziel: ein elisabethanisches Herrenhaus aus grauem Sandstein, mitten in Dorset. Ein Ort, der so still wirkte, dass man meinen könnte, die Zeit selbst habe hier aufgehört, Tage zu zählen.


Das Zimmer war klein, charmant – oder nennen wir es ehrlicher: historisch. Die Teppiche, vom Zahn der Jahre gezeichnet, krochen fast lebendig unter meinen Füssen. Kleine Asseln rollten sich zu ängstlichen Perlen zusammen, Spinnen schaukelten an langen Fäden, und ein feiner Geruch von Pferden, Hunden und Vergangenheit hing in der Luft. Willkommen in einem England, das im Fernsehen längst Farbe angenommen hatte, im realen Leben aber bisweilen noch in Sepiatönen blieb.


 

Zeitsprung 1 – Der Duschkampf am Sonntagmorgen


Es war Sonntag, 07:00 Uhr. Der Tag nahm den Anlauf eines melancholischen Gedichts: graublauer Himmel, kühle Luft, ein Zimmer ohne Heizung, ein Bett, das bei jeder Bewegung seufzte wie ein alter Butler.

 

Dann der Hilferuf: „Die Dusche funktioniert nicht!“

 

Ich eilte ins Bad – ein Tempel britischer Ingenieurskunst, irgendwo zwischen den 70er Jahren und einem Versuchslabor. Vor mir thronte der Durchlauferhitzer. Er wirkte wie ein Orakel, das sich nur Eingeweihten öffnet. Die Leuchttaste blieb stumm. Keine Reaktion. Kein Wasser. Kein Hoffnungsschimmer.

 

Doch dann entdeckte ich die Kordeln. Längere und kürzere – wie Runen, die gedeutet werden wollten.

 

Der erste Zug: Licht. Der zweite Zug: Das Orakel erwachte. Eine grüne Leuchte ging an, so giftig und zugleich verheissungsvoll wie ein Feenlicht in einer Legende. Ein Gurgeln. Ein Surren. Leben.

 

Vorsichtiger als ein Alchimist, der sein erstes Elixier mischt, drehte ich den Temperaturregler. Das Wasser begann zu tropfen – nicht fliessen, tropfen. Doch es genügte. Warm genug, um die Nacht abzuwaschen, heiss genug, um meinen Mut zu belohnen.

 

Alle paar Sekunden wechselte die Wassertemperatur wie ein launischer Kobold: frostig – brennend – brennend lauwarm – überraschend heiss. Aber ich blieb standhaft. Am Ende war es sogar angenehm, fast meditativ. Ein britisches Reinigungsritual, das mich mehr Demut lehrte als jede Wellness-Oase.


Doch kaum war ich im Einklang mit der Technik, stand meine Frau frierend im Schlafzimmer und erinnerte mich daran, dass mein episches Bad zu Ende sei.



Zeitsprung 2 – Frühstück, Bakterienkriege und Duschgeheimnisse


Beim Frühstück – ein Festmahl aus Speck, Würstchen, Bohnen und einer unbeirrbaren Hingabe zur Deftigkeit – duftete ich nach Lavendel und Orangenblüte. Meine Haare glänzten dank kurdischem Haargel, während meine Familie mit zerzausten Frisuren über britische Duschen fluchte.

 

Zwischen Toastscheiben und Kaffeebecher erzählten wir unsere Erlebnisse der vergangenen Stunden. Es war erstaunlich, wie oft das Gespräch auf den Druck, genauer Wasserdruck, zurückkam.

 

Nach zwei Nächten siedelten wir in ein grösseres Zimmer um. Badewanne statt Dusche. Kein Schlauch, aber immerhin viel Platz. Daher begann mein persönlicher Morgenspaziergang: halb nackt durch die Flure, um heimlich wieder die vertraute Dusche aus Zimmer 2 zu nutzen.

 

Die Gemeinschaftsdusche lernte ich später kennen. Sie bewachte ihre Geheimnisse ebenso gut wie der Durchlauferhitzer. Zuerst den Staubsauger aus dem Weg räumen, dann den klebrigen Duschvorleger entfernen, englisches Putzmittel grosszügig verteilen und schliesslich uralte Haarknäuel aus dem Abfluss befreien. Millionen britischer Mikroben gaben dabei ihr Leben – im stillen Kampf gegen Schweizer Hygienevorstellungen.

 

Doch am Ende – und das ist der mystische Punkt – akzeptierten mich die Duschen. Die grüne LED leuchtete nicht mehr spöttisch, sondern fast wohlwollend. Als hätte ich eine Prüfung bestanden.


 

Abschied


Am letzten Morgen gönnte ich mir eine finale Dusche im vertrauten Bad. Noch einmal das Summen des Durchlauferhitzers, das sanfte Tropfen, das launische Wechselspiel der Temperaturen. Dann war es vorbei.

 

Ich freute mich auf mein Zuhause – auf gleichmässigen Druck, warmes Licht, moderne Armaturen und ein Prada-Duschgel, das nicht gegen Pferdeduft ankämpfen musste.

 

Warum die Unterkunft nie modernisiert wurde? Aus Geldmangel? Aus Tradition? Oder weil die Briten eben die Fähigkeit besitzen, das Alterte zu umarmen und darin Schönheit zu sehen?

 

Wer weiss.


Eines aber stimmt: Wer reist, kehrt immer mit Geschichten zurück – und manchmal sind es eben die aus dem Badezimmer, die am längsten nachhallen.

 

 

Duschen

Fröhliches Duschen, wie ich’s liebe,

Tropft das Wasser aus dem Siebe.

Duschen macht mir wirklich Spass,

Am ganzen Körper werd’ ich nass.

Bis an die letzte Haarspitze,

In jede kleine Körperritze

Dringt das Wasser sanft hinein.

 

Splash it on und mach den Schaum,

Vertreib des Nachts wirren Traum.

Glättet meine Falten sacht,

Hat mir stets Behagen bracht.

Apfelgrün und Orangenduft

Bringt den Süden in die Luft.

Morgenduschen – pures Entzücken.

 

Plätschern muss das warme Wasser,

Die Dusche wird nass und nasser.

Feuchter Dampf erfüllt den Raum,

Reinigen wird fast zum Traum.

Jetzt noch einen kräft’gen Wasserstrahl,

Denn heute ist’s das letzte Mal.

Frisch geduscht beginnt mein Tag.

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