Drachengolf
- thomasvonriedt
- 26. Nov.
- 11 Min. Lesezeit

1 Das Tal Irgendwo
Das Tal „Irgendwo“ existiert tatsächlich – irgendwo. Hier treffen sich junge und alte Golfer, Männer wie Frauen – wenngleich überwiegend Männer –, um einer seltsamen Obsession nachzugehen: dem endlosen Spiel mit dem Ball. Meistens scheint die Sonne am fast immer klaren, blauen Himmel, erfreut die Seelen der Spieler und wärmt Menschen, Tiere und Natur.
Im Talgrund, organisch perfekt eingebettet, führen die Fairways die Spieler bis zum finalen Loch Nr. 18. Links und rechts dieser Bahnen kann der naturverbundene Beobachter den ständigen Wandel der Flora erkennen: riesige Bäume, die allmählich zu Skelettrahmen zerfallen und so den Boden bereiten für frische Sprösslinge, die sich der Sonne entgegenstrecken. Zwischen diesen lebendigen Zeugen der Natur entfaltet sich die Fauna in einer schier unglaublichen Vielfalt und Fülle.
Bisweilen verirrt sich ein Golfball in diese Symbiose von Flora und Fauna, wird jedoch meist von einem aufmerksamen Golfer wiederentdeckt und ins Spiel zurückgebracht. Einige wenige entziehen sich jedoch der Suche und vereinen sich über lange Zeit hinweg mit der Natur.
Das milde Klima wird durch die besondere Lage des Tals geschützt, eingebettet zwischen hohen Bergen, die an die Tafelberge Kapstadts erinnern. Kleine Wasserfälle plätschern an ihren Flanken herab und werden in den Ebenen zu wachsenden Bächen. Diese versorgen nicht nur Flora und Fauna, sondern tragen auch zu einer wohltuenden Atmosphäre bei. Manche würden dieses Tal das Paradies nennen – denn nichts scheint die Spieler bei ihrem Sport zu behindern, ausser vielleicht sie selbst.
Doch der sensible Golfer spürt seit einiger Zeit das Herannahen von etwas Unheilvollem, etwas, das seine empfindsame Seele in Unbehagen versetzt und ihm eine Gänsehaut beschert. Obwohl nichts Sichtbares zu erkennen ist, spürt er, wie sich seine Nackenhaare aufstellen. In der Luft liegt ein unheilvolles Vibrieren – in einer fremdartigen, tiefen Frequenz.
2 Gorax
Im Inneren eines der plateauartigen Berge ruhte seit Urzeiten ein Geschöpf, das einst von Saint Michel in die Dunkelheit verbannt worden war. Seit Jahrtausenden harrte es dort aus – getrieben von unstillbarem Hunger und unbändigem Wunsch nach Rache. Es hatte nie vergessen, wie es einst die Welt beherrscht, Angst und Schrecken verbreitet und die erbärmlichen Zweibeiner zu seinen Untertanen gemacht hatte. Seine Familie war im Laufe der Zeit durch St. Georg, Jason, Herkules und viele andere dezimiert worden. Die letzten, die ihm Widerstand leisteten, waren Beowulf im hohen Norden Skandinaviens und El Cid im gebirgigen Baskenland des Südwestens.
Sein unterirdisches Gefängnis war weit entfernt von einer Wellnessoase – es war dunkel, feucht, und je nach Jahreszeit tropfte mehr oder weniger mineralienreiches Wasser über seine Haut. Dieses Wasser kristallisierte zu lästigen Stalagmiten, die sich nur schwer abreiben liessen. Doch in letzter Zeit hatte das Tropfwasser einen ungewöhnlichen Geruch angenommen, der sich von dem bisherigen Gemisch aus Schwefel, Eisen und Gips unterschied. Es schien mit anorganischen Bestandteilen durchsetzt, die sich kaum auflösen liessen. Im Gegenteil: Diese Mikroteile verbanden sich zu einem netzartigen Gebilde, das seinen gesamten Körper allmählich überzog und seine Bewegungen zunehmend einschränkte.
Erschrocken stellte das Geschöpf fest, dass sich das anorganische Material zu kugelförmigen Gebilden in verschiedensten Grössen entwickelte. Doch Gorax – so lautete sein Name – war sich sicher, dass seine Zeit kommen würde. Er würde die Fesseln sprengen, ausbrechen und sich sein verlorenes Reich zurückerobern.
3 Der Ausbruch
Dass sich die Kontinentalplatten verschieben, ist an sich nichts Neues. Doch seit einiger Zeit beobachten Forscher verstärkt klimatische Veränderungen. Die Welt ist in Bewegung: Verschiebungen der Platten verursachen immer häufiger Erd- und Seebeben. Methanhydrate lösen sich am Meeresgrund und verstärken den Treibhauseffekt. Diese Ereignisse häufen sich selbst in Gebieten, die bislang als sichere Refugien der Menschheit galten.
Auch das friedliche Tal „Irgendwo“ blieb nicht verschont. Doch kaum jemand nahm diese Anzeichen ernst – beim Golfspiel bemerkte selten jemand das Grummeln und Vibrieren der Erde. Die Bälle wollten nach wie vor nicht beim ersten Putt ins Loch fallen, und dass sie an einigen Stellen nach der Landung ein Stück zurückrollten, wurde als gelungener Backspin gefeiert.
Die Welt schien in Ordnung – bis zu jenem Tag, an dem ein unglaubliches Gewitter über den Tafelbergen tobte. Hunderte Blitze schossen auf den Boden, setzten dürres Gebüsch und Bäume in Brand. Der sintflutartige Regen verwandelte die Bäche in reissende Ströme, und Mensch wie Tier suchten Schutz in ihren Behausungen. Die Sonne war verschwunden, der Himmel zeigte sich in bedrohlichem Grau-Violett, und Donnerschläge liessen Mensch und Tier erzittern.
Wie eine Strafe Gottes schlug plötzlich ein gewaltiger Blitz – wie man ihn noch nie gesehen hatte – in einen der Tafelberge ein und spaltete ihn in zwei Hälften. Gorax’ unterirdisches Gefängnis lag nun offen und war der Witterung ausgesetzt. Er spürte den reinigenden Regen auf seiner verkrusteten Haut prasseln.
„Frei – ich bin frei!“, knurrte er und stiess zum ersten Mal seit Jahrtausenden wieder eine Lohe heissen Feuers aus seinem Schlund. Das Gefühl der wiedergewonnenen Freiheit durchströmte seine Adern. Die urtümliche Kraft seiner Ahnen erwachte in ihm – und Gorax erhob sich in den stürmischen Himmel.
4 Alles ändert sich
Nach dem gewaltigen Unwetter, das die Menschen fast wie einen Weltuntergang empfanden, kehrte die Sonne mit aller Stärke und Wärme zurück. Die Bäche und Flüsse fanden wieder in ihre Betten, die vom Sturm gebeutelten Bäume richteten sich auf, und die Tiere wagten sich erneut ins Freie. Doch war alles wie zuvor?
Vereinzelt berichteten Spaziergänger, sie seien auf verendetes Wild gestossen. Es schien, als hätte ein grosses Raubtier die Tiere gerissen. Manchmal fand man Überreste von Kühen und Hirschen an scheinbar unmöglichen Stellen in den Bergen. Wer hatte sie dorthin gebracht? So grosse Adler gab es doch nicht.
An einem wunderbaren Sonntagmorgen, als einige Golfer bereits früh unterwegs waren, erblickten sie von weitem mitten auf dem Golfplatz ein furchterregendes Geschöpf. Menschen des 21. Jahrhunderts sind Drachen nicht mehr vertraut; sie begegnen ihnen höchstens in Filmen oder in Computerspielen und erinnern sich vage an Legenden von Siegfried oder Sankt Georg. Viele erschauern schon beim Anblick eines Warans im Zoo – doch ein echter Drache?
Da fürchtet man sich nicht nur vor dem monströsen Wesen, sondern auch vor dem spöttischen Lachen der anderen, wenn man davon erzählt. Also schwiegen die Golfer und entfernten sich so schnell und leise wie möglich.
Gorax ruhte sich im kurz geschnittenen Gras des Golfplatzes aus, genoss die wärmenden Sonnenstrahlen, die das Geflecht auf seinem Rücken allmählich auflösten und die knubbeligen Auswüchse verschwinden liessen. Sein Körper regenerierte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit – und bald meldete sich wieder sein unersättlicher Hunger.
5 Zerstörerisches Werk
Gorax erholte sich im kurz geschnittenen Gras des Golfplatzes und genoss die Sonne, deren Strahlen das Geflecht auf seinem Rücken allmählich auflösten und die knubbeligen Auswüchse verschwinden liessen. Sein Körper regenerierte sich rasend schnell – und bald meldete sich erneut sein unersättlicher Hunger.
Er machte sich auf zur Jagd. Wildtiere, Schafe und Kühe wurden seine Opfer. Mit seinen messerscharfen Klauen packte er die wehrlosen Tiere, trug sie in ein abgelegenes Hochtal und verschlang sie dort oder versteckte sie, um später daraus Kraft zu schöpfen. In dieser Einsamkeit, umgeben von steilen Gebirgsspitzen, wollte er Eier legen – denn Drachen sind autogame Wesen, fähig zur Selbstreproduktion. Diese Fähigkeit hatte es der Gattung ermöglicht, Äonen zu überdauern. Das abgeschiedene Tal bot perfekten Schutz und war nahezu unzugänglich, selbst für jene Kreaturen, die ein Drachengelege hätten, plündern können.
Doch seine lange Gefangenschaft und das stetige Tropfen des Wassers hatten seinen Körper verändert. Die Eier, die er legte, waren nicht mehr oval, sondern hatten die Form übergrosser Golfbälle – leicht violett schimmernd. Schon bald würden kleine Drachen den Urethanmantel ihrer Schalen durchbrechen und sich auf die Suche nach eigenem Lebensraum machen.
Ziellos fliegend, trainierte Gorax seinen heissen Feuerodem, verbrannte dabei die Flora und verwandelte die einst blühende Landschaft allmählich in eine düstere Wüste. Die Golfer, die das fremdartige, golden-grüne Fluggeschöpf anfangs für eine Werbeaktion eines bekannten Spielzeugherstellers hielten, nahmen die Warnungen nicht ernst. Jene, die den Drachen zuerst sahen, wurden verspottet und ausgelacht.
Nur einer nahm die Berichte ernst: Siegfried-George Thorwald of Callaway, ein junger Spitzengolfer, dessen Name nicht zufällig an legendäre Helden erinnerte. Er stammte aus einer alten Familie, die sich seit Jahrhunderten im Kampf gegen das Böse bewährt hatte – einst mit Schwert und Speer, nun mit Schlägern und Bällen.
Mit dieser ungewöhnlichen Gabe reifte in Siegfried-George ein waghalsiger Plan.
6 Auf dem Golfplatz
Die Spieler des Golfklubs „Irgendwo“ waren gemeinsam mit Kollegen des befreundeten Klubs „Albatros“unterwegs. Schlag um Schlag arbeiteten sie sich über die Fairways vor, vorbei an Bunkern und Wasserhindernissen, als plötzlich Rauch ihre Nasen reizte. Die Luft war erfüllt von Aschepartikeln, es roch nach Schwefel, und in der Ferne schien etwas zu brennen. Der aufsteigende Rauch verdunkelte den Himmel; die Sonne schien nur noch als blasser, gelber Fleck hindurch.
Vereinzelt huschte ein Schatten über die Golfer hinweg – zu gross für einen Vogel, zu unregelmässig für ein Flugzeug. Das Flattern schwerer Schwingen liess sie aufblicken. Manchmal leuchtete in der Ferne ein gelb-rötlicher Strahl auf, einem Feueratem gleich, doch ohne das Donnern, das sonst Blitzen folgt.
Als sie sich dem zwölften Loch näherten, begegneten sie zurückkehrenden Spielern, deren Gesichter fahl waren. Jetzt erst bemerkten sie das Ausmass der Zerstörung: verbrannte Bäume, verschmorte Gräser, schwarz glühender Boden – wie nach einem Flächenbrand in Griechenland. Asche wirbelte auf, das Atmen fiel schwer.
Dann kam das Rauschen. Erst leise, dann laut, bis der Windstoss fast die Schläger aus den Händen riss. Ein Schatten verdunkelte die Sonne – und Gorax erschien am Himmel.
Die Golfer blickten entsetzt auf. Das Spiel war vergessen. Das Ungeheuer stürzte herab, fauchte und liess seinen feurigen Atem über das Fairway gleiten. Eine grauenhafte Vorstellung – gepackt zu werden von diesen Krallen, geröstet oder verschlungen zu werden.
Panik brach aus. Die Spieler rannten, stolperten, warfen sich in die verkohlten Büsche und suchten Schutz hinter Felsen. Gorax aber schien sich zu amüsieren, als er die winzigen Menschlein fliehen sah. Es erinnerte ihn an alte Zeiten – an die Jagden mit seinem Vetter Fafnir im Land der Nibelungen, ehe jener von Siegfried erschlagen wurde.
7 Siegfried-George of Callaway
Im Golfklub kannte man Siegfried-George als ruhigen, geduldigen Menschen – und als Ausnahmegolfer. Kaum jemand schlug den Ball so weit und so präzise wie er. Bei Turnieren wurde er oft gebeten, seine Künste zu demonstrieren. Dass er aus einer Familie stammte, die seit Jahrtausenden im Dienst der Menschheit stand, ahnte niemand.
Sein Anwesen war ein Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, umgeben von einem prächtigen Garten. Wo einst edle Pferde gestanden hatten, parkte heute sein dunkelblauer Land Rover Defender. Vor dem Haus blühten Rosen in sorgfältig gepflegten Beeten. Hier lebte ein distinguiertes Gentleman-Ideal: zurückgezogen, kultiviert, unterstützt von seiner Köchin Agnes und dem treuen Haushälter Arthur. Gäste wurden stets fürstlich bewirtet – an der langen Tafel unter den Ahnenporträts.
Doch nur wenige kannten das wahre Geheimnis des Hauses. Tief unten, im Keller, lag die Schatzkammer. In ihren Regalen: uralte Dokumente, Waffen und Artefakte aus 3000 Jahren Drachenjagd. Dort ruhten Thors Hammer, Gramr – das Schwert Sigurds, bekannt als Balmung –, Splitter der Keule des Herakles, die Spitze des Speers des heiligen Georg und unzählige Reliquien. An den Wänden hingen skelettierte Drachenköpfe, Relikte vergangener Kämpfe. In gläsernen Fläschchen bewahrte er Blut- und Giftproben verschiedener Drachenarten auf.
An diesem Abend sass Siegfried-George in seinem Sessel, vertieft in Berichte über Sichtungen fliegender Objekte. Den Beschreibungen nach handelte es sich zweifellos um einen Drachen der Gattung Dracon – auf Deutsch: „grosse Schlange“.
Da trat Arthur ein.
„Sir, der Präsident des Golfklubs bittet um Audienz.“
Siegfried-George lächelte. „Lass ihn herein, Arthur. Und bring uns zwei Gläser von dem Portwein, den wir uns für besondere Anlässe aufheben.“
Er ahnte, dass dieser Abend ein solcher Anlass werden würde.
8 Auf in den Kampf
Siegfried-George wusste, dass das Tal „Irgendwo“ am Rande des Untergangs stand. Die Bauern klagten über den Verlust ihres Viehs, der Golfplatz lag in Asche. „Wenn das so weitergeht“, hatte der Clubpräsident gestöhnt, „wird unsere Heimat zum Jammertal.“
Gebunden an das uralte Gelöbnis seiner Familie, begann Siegfried-George mit den Vorbereitungen. Anders als seine Ahnen wollte er den Lindwurm nicht mit Speer oder Schwert bekämpfen, sondern mit modernster Ausrüstung.
Er trug einen feuerfesten Golfanzug und eine Optik-dynamische Oakley-Brille. Sein wichtigstes Werkzeug war das Eisen Nr. 7, geschmiedet aus Damaszenerstahl mit Splittern von Gramr und der heiligen Spitze des Speers von St. Georg. Dazu hatte er spezielle Golfbälle entwickelt – die Dracoliten.
Diese Bälle besassen enormen Spin-Drall und waren so konstruiert, dass sie beim Aufschlag auf organischem Gewebe ihre gesamte Energie bündelten, sich eingruben – und dann verheerend implodierten. Drachenherzen sind gläsern: kalt, blau, gefühllos. Die Dracolitenbälle würden, wie Dum-Dum-Geschosse, eine schreckliche Wunde reissen und das kalte Herz des Drachen zerschmettern.
Siegfried-George war überzeugt: Mit diesen modernen Mitteln konnte er den alten Feind besiegen.
Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg zum Loch 6 – dorthin, wo Gorax bereits vorgedrungen war und die grüne Landschaft in ein Trümmerfeld verwandelt hatte.
9 Das blaue Herz
ie seine mutigen Ahnen näherte sich der Drachentöter vorsichtig der Bahn Nr. 6 und musste nicht lange warten. Mit donnerndem Flügelschlag erschien Gorax – riesig, fauchend, mit aufgerissenem Rachen und Feuer speiend.
Siegfried-George wich geschickt den Angriffen aus, während der Schweif des Drachen über den Boden peitschte und glühende Erde aufwirbelte. Er rammte Tees in den Boden und platzierte darauf die Dracolitenbälle – eine tödliche Strategie in mehreren Linien.
Mit der Ruhe seiner Vorfahren und Watte in den Ohren, um den Schreien des Drachens zu widerstehen, spielte er Ball um Ball. Einige Geschosse durchdrangen die dünne Flughaut der Schwingen, was den Lindwurm in Raserei versetzte.
Als nur noch wenige Bälle übrig waren, wagte Siegfried-George den entscheidenden Schlag. Der Dracolit traf die Brust des Drachens mit ohrenbetäubendem Knall, drang tief ein – und explodierte.
Ein gellender Schrei zerriss die Luft. Gorax taumelte, stürzte, schlug auf dem Fairway auf. Aus seinem Körper quollen sieben blaue, gläserne Herzen – die Quelle seiner sieben Leben. Eines nach dem anderen zersprang am Boden in unzählige Splitter.
Mit einem letzten, präzisen Schwung seines Eisen Nr. 7 zerschmetterte Siegfried-George das letzte Herz – und das Ungeheuer erlosch.
Ein weiteres Mal hatte ein Nachkomme der Callaways die Menschheit vor einer uralten Plage bewahrt. Schweigend sammelte er die blauen Splitter ein und machte sich auf den Heimweg.
10 Ein Festessen
Immer wenn ein Ahnherr der Familie einen Drachen erschlug, war er verpflichtet, das Geheimnis zu lüften und das Volk zu einem Festmahl einzuladen. Siegfried-George führte diese Tradition mit Freude fort.
Arthur, der Butler, bereitete den grossen Saal vor, während Agnes mit den Frauen des Dorfes ein Festmahl zauberte. Der Präsident des Golfklubs versprach edlen Rotwein aus dem Languedoc mit dem sprechenden Namen „Sang de Dragon“ AOP.
Über hundert Gäste kamen – Mitglieder des Klubs, Freunde, Nachbarn. Der Wein erwies sich als ausgezeichnet. Schweinebraten, Kapaun, frisches Gemüse, Berge von Spätzlen, Kartoffeln und Pommes Frites füllten die Tische. Würzige Saucen und Holzofenbrot rundeten das Mahl ab.
„Un grand repas pour les golfeurs – a real feast“, lachte man.
Jeder wollte erzählen, wie der Dracolit den Drachen zu Fall gebracht hatte und wie dessen Herzen zersprangen. Die Geschichten wurden grösser, bunter, heldenhafter – wie bei Fischern, deren Fang mit jedem Mal wächst.
Die Drachenköpfe an den Wänden blickten mit leeren Augenhöhlen auf das Gelage – stumme Zeugen vergangener Kämpfe.
Spät in der Nacht zog sich Siegfried-George in seine Gemächer zurück. Noch wartete Arbeit auf ihn: Der Drachenkopf musste präpariert, die Herzsplitter geschliffen werden. Bei Sotheby’s und Christie’s erzielten sie Höchstpreise; der Erlös finanzierte die nächste Generation von Drachentötern.
Müde, aber glücklich, sank der Held in seine Kissen – und schlief ein.
11 Die Trophäe
Der Golfklub „Irgendwo“ besteht bis heute, und Drachen am Himmel schrecken niemanden mehr. Die Ereignisse jener Tage verblassen langsam im Gedächtnis der Menschen.
Zu Ehren Siegfried-Georges stifteten die Mitglieder die „Drachen-Trophy“ – ein Turnier über drei Tage mit einem Pokal aus Ebenholz, gekrönt von einer bronzenen Figur des Gorax. Auf Messingplatten am Sockel sind die Namen der Sieger eingraviert. Splitter des blauen Drachenherzens, eingearbeitet in das Felsstück zu Füssen der Figur, verleihen der Trophäe geheimnisvollen Glanz.
Man sagt, wer den blauen Splitter lange genug betrachtet, könne die Geschichte noch einmal erleben. Andere behaupten, tief in den Bergen lägen noch immer violett schimmernde Dracheneier verborgen.
12 Irgendwo
Die Natur erholte sich rasch. Golfer aus aller Welt spielen seither mit Freude auf dem „Leading Golf Course“. Besonders das Kribbeln auf Bahn 6 ist legendär – dort, wo eine Gedenksäule an den heroischen Kampf erinnert.
Das Berühren des eingearbeiteten blauen Splitters soll Glück bringen.
Wo dieser Platz liegt?
Schliesse die Augen – du wirst ihn erkennen.










Kommentare