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Die Legende von der Sennerin Marga und Grimo dem Bettelmönch

  • thomasvonriedt
  • 25. Nov.
  • 5 Min. Lesezeit
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In einem abgeschiedenen Tal, hoch in den Bergen Bayerns, lebte einst eine Sennerin namens Marga. Sie war für ihre Habgier bekannt, hortete die beste Milch und den Käse nur für sich und verweigerte den Hirten und Bauern im Tal jede Hilfe. Jahr für Jahr trieb sie ihre Tiere auf die saftigsten Weiden, nahm sich das Beste und liess für andere nichts übrig. Die wenigen Mägde und Knechte, die ihr dienten, behandelte sie schäbig; sie gab ihnen gerade so viel, dass sie nicht verhungerten. Jahrein, jahraus scheffelte sie Goldmünzen und hortete diese in ihrer Schlafkammer.

 

Sie war von Gier und Habsucht besessen und liess kein gutes Haar an den Menschen, die bei ihr arbeiteten. Wegen jeder Kleinigkeit beschimpfte sie die Mägde und Knechte und schlug sie manchmal gar mit einem Stock. Schliesslich trieb sie es so weit, dass immer weniger Personal bei ihr blieb.

 

Eines Tages, als das Wetter auf Sturm umschlug, beschimpfte sie die Menschen so sehr, dass diese die Flucht ergriffen und ins Tal eilten.

 

„Haut bloss ab!“, schrie sie ihnen hinterher. „Nur wegen eines Gewitters lässt man nicht alles liegen! Das Gras wird verfaulen – ich kann es nicht mehr gewinnbringend verkaufen!“ Dann packte sie den Kessel mit den Tageseinnahmen und eilte ins Haus.

 

Schon lange beobachteten das Gute und das Böse die Sennerin. Während sich das Böse die Hände rieb und sich maliziös über ihr hartes Herz freute, wollte Gott Marga ein letztes Mal auf die Probe stellen. Der Gehörnte aber lachte gemein und spottete: „Da siehst du, wohin dein Glaube führt!“, und machte sich auf, Marga weitere Gemeinheiten ins Ohr zu flüstern.

 

Der Sommer verging, und Margas Geschäfte trugen ihr weiteres Gold ein. Mit gierigen Augen zählte sie allabendlich ihre Geldstücke, polierte die Dukaten und Taler und legte sie sorgfältig in den Tresor im Fussboden. Immer weniger Menschen durchquerten die Alp – weder Wanderer noch Krämer, die ihr etwas verkaufen wollten. Sie hatte kein Gefühl für andere und suchte keine Gesellschaft.

 

Eines Tages, als Marga erneut ihr Vieh auf die Weiden trieb und die anderen Bauern verhöhnte, kam ein alter Mann vorbei und bat sie um ein wenig Milch. Er sah zerlumpt aus und schien grossen Hunger zu haben.

 

„Wahrscheinlich wieder so ein Vagant aus dem Süden, ein Nichtsnutz und Versager“, dachte sie.

 

„Wem nichts gehört und wer nichts tut, dem soll auch nichts gegeben sein!“, höhnte sie und wies ihn harsch ab. Der Mann bat nochmals um etwas zu essen und zu trinken – vergeblich. Sie jagte ihn vom Hof. Langsam und gebeugt verliess der Bettler die ungastliche Alp und verfluchte die Sennerin für ihre Herzlosigkeit.

 

In derselben Nacht, als Marga wohlgenährt im Bett schlief, brach draussen ein unheimlicher Sturm los. Blitze zuckten, Donner rollte, und bald schlug ein Blitz in Margas Hütte ein. Sie erwachte erschrocken und sah durch das offene Fenster ein grässliches Gesicht, das sich mit höhnischem Lachen über ihre aufsteigende Angst lustig machte. Blitze schlugen überall auf der Alp ein, setzten Bäume in Brand und lösten Erdrutsche aus, die über die Weiden rollten. Marga erinnerte sich an den Fluch des Bettlers – doch es war bereits zu spät. Die Bauern im Dorf hörten einen markerschütternden Schrei, der durch das Tal hallte.

 

Am nächsten Morgen erkundeten die Bauern den Schaden, den das Gewitter angerichtet hatte. Als sie in die Nähe der Alp kamen, stellten sie fest, dass das stolze Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. Nichts war mehr zu finden: kein Geld, kein Gold, keine Tiere – und auch Marga war verschwunden.

 

Am schlimmsten jedoch war, dass dort, wo früher fette Weiden gewesen waren, nun nur noch Geröll und Felsblöcke lagen. Die Bauern waren überzeugt, dass Marga für ihre Untaten und ihren Geiz verflucht worden war. Solche Gewitter, sagten sie, kämen nur in besonderen Fällen vor – da müsse wohl eine höhere Macht ihre Hand im Spiel gehabt haben.

 

Abends, wenn die Bauern am Kamin sassen, rauchten und Geschichten erzählten, erfuhren die Kinder, dass Margas habgierige Seele jetzt als Terror Montanus - Bergschreck durch die Alpen geisterte. Das sei die gerechte Strafe des Herrn. Niemand wagte sich mehr auf die verfluchte Alp. Die Weiden verödeten, und ein düsterer Schatten legte sich über die einst so ertragreichen Hänge.

 

Jahre vergingen, bis eines Tages Grimo, der Wandermönch, durch das Tal zog. Er hörte die Geschichten vom Bergschreck und entschloss sich, den Bauern zu helfen, der Bedrohung zu begegnen und den Spuk zu beenden. Nur mit einem einfachen Holzkreuz, das er bei sich trug, begab er sich zu der Stelle, wo einst die Hütte der Sennerin gestanden hatte, und wartete auf den Einbruch der Nacht. Die Bauern und ihre Familien bekreuzigten sich und beteten, doch keiner wagte es, in die Nähe zu kommen.

 

Als der Mond aufging, erschien der Bergschreck in Gestalt einer geisterhaften, verzerrten Frau – von Gier gezeichnet und von Dunkelheit umgeben. Sie ritt auf einer gespenstischen Kuh mit glühenden Augen; die Schelle an ihrem Hals kündigte die schreckliche Erscheinung schon von Weitem an.

 

Die Bauernfamilien versteckten sich zitternd wie Espenlaub in ihren Hütten. Sie beteten das Vaterunser mit ihren Frauen und Kindern, hielten die Rosenkränze fest in den Händen und wagten es nicht, durch die Spalten in den Fensterläden nach draussen zu spähen.

 

Unerschrocken stellte sich Grimo dem Schreck entgegen. Mit dem Kreuz in der Hand und einem Gebet auf den Lippen trat er furchtlos dem Bergschreck entgegen. Fahl leuchtete der Mond, und das schauerliche Muhen der Geisterkuh rollte durch das Tal. Die Gestalt keifte und fluchte, versuchte mit allen Mitteln, des Bettelmönchs Glauben zu erschüttern.

 

„Lass ab von deinem lästerlichen Tun, unselige Marga! Wende dich dem Guten zu – der Herr lässt niemanden allein! Jetzt ist die Zeit der Busse gekommen!“ Grimo schwang sein Kreuz wie ein Schwertkämpfer und rief: „Weiche, Terror!“

 

Der Bergschreck begann zu heulen und zu toben. Zwischendurch blitzte im entstellten Gesicht das Antlitz der Marga auf. Der Kampf zwischen Gut und Böse wogte hin und her. Doch Grimo liess nicht locker und schritt mit dem Kreuz in der Hand auf die Gestalt zu. Endlich gelang es ihm, die Geisterkuh zu berühren.

 

Sie muhte noch schauriger als zuvor, und die Schelle läutete erst in nie gehörter Kakofonie, dann immer leiser. Schliesslich begann sich die Geisterkuh in Nebel aufzulösen, und die verfluchte Seele der Sennerin Marga wurde erlöst. Nur ihr Skelett blieb zurück und versank langsam im Boden, begleitet von Grimos Gebet.

 

Grimo blieb noch eine Weile betend auf den Knien, bis der letzte Rest des Bergschrecks im Boden verschwunden war. Von diesem Tag an kehrte das Leben auf die Alp zurück. Die Weiden wurden wieder grün, und die Bauern konnten ihre Tiere erneut hinauftreiben.

 

Stets erinnerten sie sich an die Warnung, bescheiden zu leben, im Einklang mit der Natur und freundlich zu den Menschen. Auch heute noch erzählen die Älpler ihren Kindern die Legende von Marga und dem Mönch Grimo.

 

 

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