Die Golflady und der goldene Fisch
- thomasvonriedt
- 26. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

Eine fast wahre Geschichte, so geschehen am 18.6.2024
An einem milden Spätfrühlingsnachmittag, als die Sonne noch hoch am Himmel stand und das Land in warmes, goldenes Licht tauchte, stand Frau Clara auf dem grünen Bürstenteppich der Veranda des Golfrestaurants.
Sie war eine Dame im besten Alter – aufrecht, kultiviert, mit einer Aura ruhiger Entschlossenheit. Im Klub nannte man sie ehrfurchtsvoll die „Golf Lady“, berühmt für ihre Präzision, ihre Eleganz – und für jenen Schwung, der stets so mühelos wirkte, als folge er dem Takt eines inneren Metronoms.
An diesem Tag fand das Seniors & Ladys-Turnier statt, und Clara hatte sich einer besonderen Herausforderung zu stellen. Auf dem See, der das neunzehnte Loch zierte, schwamm ein schmaler Ring, der mit Seilen an beiden Ufern befestigt war.
Die Aufgabe: Den Ball mit einem Wedge so präzise zu schlagen, dass er genau in diesem schwimmenden Ziel landete – eine Übung, die Geduld, Nerven und Perfektion verlangte.
Zuvor hatten bereits alle anderen Damen ihr Glück versucht – vergeblich. Auch vier von Claras Schlägen waren schon knapp am Ziel vorbeigegangen.
Clara atmete tief ein. Der Wind hatte sich gelegt. Nur das Zwitschern der Vögel und das leise Klatschen des Wassers waren zu hören. Sie fühlte den vertrauten Griff des Schlägers, spürte die glatte Oberfläche, als wäre er eine Verlängerung ihrer selbst. Mit einem leichten Nicken visierte sie den Ring an, holte aus – und schlug. Die Senioren schauten, wie gebannt zu, wie die Lady in den roten Pumps den Ball in Richtung Ziel befahl.
Der Ball löste sich in einer perfekten Flugkurve, glitzerte im Sonnenlicht wie eine kleine Perle – und landete zielsicher mitten im Ring.
Ein leises Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer – Ladys und Senioren, die sich auf der Terrasse versammelt hatten, um Claras Spiel zu bewundern. Doch ehe der Applaus einsetzte, geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte.
Der Ball begann sich im Wasser zu bewegen. Langsam, beinahe schwebend, als würde ihn eine unsichtbare Hand führen.
Die Zuschauer hielten den Atem an.
Dann durchbrach ein goldener Fisch die Wasseroberfläche. In seinem Maul – Claras Golfball.
Er glitzerte im Licht, als trüge er die Sonne selbst in seinen Schuppen. Lautlos schwamm er ans Ufer, legte den Ball behutsam auf das Gras vor Claras Füsse – und blickte sie an.
Seine Augen, gross und bernsteinfarben, schienen zu lächeln. Einen Herzschlag lang schien die Zeit stillzustehen. Dann wandte sich der Fisch, schlug elegant mit der Schwanzflosse und verschwand wieder in den Tiefen des Sees.
Einen Moment lang war alles still. Dann brandete Jubel auf.
Clara aber stand reglos da, wie verzaubert. Sie bückte sich, hob den Ball auf – und bemerkte etwas Ungewöhnliches: Auf seiner Oberfläche war eine feine, goldene Gravur erschienen. In winzigen Lettern standen dort die Worte:
„Für diejenige, die Präzision und Herz vereint.“
Zu Hause, am Abend, sass Clara am Fenster ihres kleinen Landhauses. Die Sonne senkte sich über die Hügel, und im Glas vor ihr lagen die handgemachten Himbeerbonbons, die sie als Preis vom Senioren-Captain erhalten hatte. Sie nahm eines heraus, liess es langsam auf der Zunge schmelzen und dachte an den glitzernden Fisch, an den Applaus, an das leuchtende Wasser.
Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen.
Von diesem Tag an sprach man im Klub nicht nur über Claras Können, sondern über das Wunder vom neunzehnten Loch – und über den geheimnisvollen Fisch, der einer Lady den Ball zurückbrachte.
Und Clara?
Sie wusste, dass dieser Augenblick ein Geschenk war – eine poetische Belohnung für all die Jahre, in denen sie Präzision, Geduld und Liebe zum Spiel miteinander vereint hatte.










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