top of page

Der Golpir - eine unheimlich präzise Nacht

  • thomasvonriedt
  • 26. Nov.
  • 2 Min. Lesezeit
ree



Es war einer jener stillen Herbstabende, an denen die Sonne wie ein glühendes Auge im Westen versinkt. Die letzten Strahlen legten sich über das satte Grün des Golfplatzes, tauchten das Fairway in goldenes Licht – und dann kam der Nebel. Lautlos. Dicht. Fast zu dicht.

 

Die letzten Spieler hatten längst das Klubhaus erreicht. Nur einer war geblieben. Eine Gestalt, die scheinbar aus dem Dunst geboren wurde: hochgewachsen, bleich, mit einem schwarzen Umhang, der im Wind wehte wie ein Schattenflügel. In der Hand – kein Stock, kein Schwert – ein Golfschläger aus Ebenholz.

 

„Heut’ Nacht“, murmelte er, „werde ich das Birdie des Jahrhunderts schlagen.“

Er grinste, und für einen Sekundenbruchteil blitzten spitze Zähne im Mondlicht auf.

Man nennt ihn den Golpir – halb Gentleman, halb Vampir, ganz Golfer. Ein Wesen, das nur nach Sonnenuntergang spielt und angeblich auf keinem Turnierzettel der Welt auftaucht. Seine Gegner? Der Sandbunker. Das Wasserhindernis. Und die Ewigkeit.

 

Mit lautlosem Schwung trieb er den Ball in die Finsternis. Kein Geräusch, kein Widerstand – nur ein kurzes, metallisches Klingen. Sekunden später: Plopp. Der Ball war im Loch. Ein Birdie. Vielleicht mehr. Der Golpir lächelte zufrieden. „Ein Eagle wäre mir lieber gewesen“, flüsterte er, „doch die Nacht ist noch jung. „Er setzte sich in sein Fahrzeug – kein gewöhnliches Golfcart, sondern eine schwebende Kutsche, mit Fledermausornamenten und flackernden roten Lichtern. Über das Gras glitt sie, als würde sie von Geisterhand geführt.

 

Kein Laut drang aus der Dunkelheit, nur vereinzelt das leise Flattern von Flügeln. Die Tiere des Platzes – Rehe, Füchse, Krähen – hielten inne, als der Golpir vorbeifuhr. Und wer ganz genau hinsah, hätte bemerkt, dass dort, wo seine Reifen den Boden berührten, der Tau gefror.

 

Loch um Loch spielte er, bis er das achtzehnte erreichte. Das Schwierigste, das gefürchtetste. Der Mond stand hoch, der Nebel tanzte wie Rauch. Aus einer schwarzen Tasse trank er einen Schluck Tee – oder war es etwas anderes? – und hauchte: „Kein Blut heute. Nur der Sieg.“

 

Dann schlug er zu. Der Ball flog – quer durch den Nebel, über den Teich, über den Bunker hinweg – und fiel, als hätte ihn die Nacht selbst getragen, direkt ins Loch.

Ein perfekter Birdie. Vielleicht das perfekte Spiel.

 

Der Golpir verneigte sich vor seinen unsichtbaren Zuschauern, die Augen glühten rot wie glühende Kohlen. Dann verschwand er – so still, wie er gekommen war.

Am nächsten Morgen fanden die Greenkeeper Spuren auf dem Rasen: zwei schmale Furchen, als hätte jemand mit einem schwebenden Wagen über das Fairway gefahren. Und mitten auf dem Grün – ein Golfball, der noch leicht dampfte.

 

Seit jener Nacht gilt auf dem Platz des GC Obere Alp eine neue Regel:

 

„Um die Runden des Golpirs nicht zu stören, wird das Mitternachtsturnier der Senioren bis auf weiteres ausgesetzt.“

Kommentare


bottom of page