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Der Golfballfresser

  • thomasvonriedt
  • 24. Jan.
  • 6 Min. Lesezeit

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Da beginnst du frohen Mutes eine Runde mit Freunden und stehst am Abschlag 1. Das Tee steckst du sauber in den leicht sandigen Untergrund der Tee-Box. Du stehst hinter dem Tee, überblickst die vor dir sich öffnende Spielbahn, die deinen gerade gespielten Ball erwartet. Dann platzierst du den Seniorenball auf das zitternde Holzstäbchen, stehst nochmals hinter dem aufgesetzten Ball und visierst dein Ziel an. Jetzt geht es Schritt für Schritt durch die verschiedenen Vorbereitungsphasen bis zum finalen Abschlag, mit und ohne Probeschwung.

 

Ruhig bewegt sich der Driver in die Ausgangsposition, um anschließend beschleunigend, aber ruhig auf den Ball zuzurasen, mit dem Sweet Spot ihn vom Holz zu übernehmen und in die Luft zu befördern. Den Schwung ziehst du durch, bis sich der Driver bald um deinen Körper wickelt, der rechte oder auch der linke Fuß völlig anormal abgewinkelt dir hilft, das Gleichgewicht zu behalten. Die Federkraft deines Körpers hat dem erwartungsvoll wartenden Ball den richtigen Schub verliehen. Dein Ball erreicht schon bald die maximale Flughöhe, senkt sich anschließend langsam wieder und fliegt, dem Seitenwind trotzend, dem 200 Meter entfernten Aufschlagpunkt zu.

 

Der Adrenalinspiegel in deinem Körper senkt sich wieder, ein großartiges Glücksgefühl setzt ein, Dopamin hat übernommen und steigert sich sogar noch ein wenig, als der Ball am drohenden Bunker vorbei in aussichtsreichster Position kullert und endlich bei gut 210 Metern liegen bleibt. Deine Kollegen gratulieren anerkennend, so einen Start hatte keiner erwartet.

 

In dem dichten und dornigen Gebüsch links und teilweise auch rechts der Spielbahn schnaubt „einer“ ärgerlich. Alle seine negativen Gedanken nutzen nichts angesichts deines wohlvorbereiteten und ausgeführten Schlages. Er weiß, seine Chance käme noch. Die Spannkraft und Konzentration jedes Spielers würden mit jeder Bahn nachlassen und dann ...

 

Dein Spiel geht weiter, die meisten deiner Schläge gelingen dir zufriedenstellend, Adrenalin und Dopamin wechseln sich regelmäßig ab. Die Hormone in deinem Körper steuern die verschiedensten Gefühlssituationen und werden sichtbar. Hast du dein Gesicht gesehen, als sich dein Ball gerade in den Sand des Bunkers gräbt? Genau das fehlte noch, du liebst diesen Schlag so sehr. Nun heißt es, sich zu konzentrieren, den richtigen Schläger in die Hand zu nehmen, sich zu positionieren, den linken Fuß (oder auch den rechten) im Sand irgendwie zu verankern. Trockene Schläge ausführen, die Position optimieren. Entspannen. Dann ziehst du deinen Schwung locker durch, der Schlägerkopf tritt in den Sand ein, schiebt diesen vor sich her und forciert den Ball zum Flug aus dem Hindernis. Viel siehst du nicht, der Sand fliegt dir um die Ohren und in die Haare. Wiederum gerettet. Im nahegelegenen Unterholz knurrt es wieder, ein enttäuschter Spielverderber muss weiterhin auf deinen Ball warten.

 

Du und deine Freunde im Flight freuen euch, das heutige Spiel verläuft komplett nach euren Vorstellungen, schon 12 Löcher gespielt und immer noch mit dem gleichen Ball unterwegs. Allerdings stellst du fest, dass du bei den letzten Bahnen vergessen hast, deinem Körper mit Nahrung zu versorgen. Die Konzentration lässt etwas nach, nur mit Glück und dank der gütigen Hilfe von Frau Meier sprang dein Ball wieder zurück auf die Spielbahn. Du hast gar nicht gesehen, wie sich das hohe Rough erwartungsvoll bewegte, um deinen Ball für immer aufzunehmen. Ein paar Schläge hattest du auch getoppt und dann und wann unterschlagen. Es ist Zeit für die Banane, die dir deine vorsorglich und fürsorglich denkende Gattin eingesteckt hatte. Du hast dich noch dagegen gewehrt, aber musst doch eingestehen, sie hatte recht. Allerdings hast du nicht beachtet, dass die Zufuhr von Fruchtzucker nicht sofort wirkt. Nun stehst du auf der Tee-Box 13. Früher hättest du den Ball quer über den Teich gehämmert, tempi passati; heute muss eine wohltemperierte Vorlage an den Teichrand genügen. Du bist dir nicht sicher, welche die bessere Lösung ist: links um den Teich herum, mit etwas Risiko über die erste rote Stange und dann mit dem zweiten Schlag die letzten 150 Meter, oder eben vorlegen und dann mit einem Holz über das große Wasser. Du entscheidest dich für Variante links. Flöge der Ball ins Wasser, würdest du ja mit dem dritten Schlag weitermachen, rechts wäre es dann der vierte Schlag.

 

Im Wasser zeigen Wellenringe die Präsenz eines Wesens an, vielleicht die mittlerweile groß gewachsenen Lachsforellen, ein Wels oder etwas anderes. Die rostfarbenen, invasiven Gänse lachen frech mit Geschnatter und irritieren dich. Am liebsten würdest du einen flachen Schuss absetzen, direkt in die Menge, Federn würden auf alle Seiten fliegen, das höhnische Gelächter würde verstummen. Du musst dich wieder auf deine Aufgabe konzentrieren. Du hast dich für die Querung des Wassers im zweiten Schlag entschieden und greifst nach einem Eisen. Ideal wäre so 2 Meter vor dem Uferrand, und dann weiter mit einem Eisen 5 oder Holz 7, das könnte auch passen. So wie einst gelernt, baust du deinen Schlag auf, und dann – genau kurz vor dem Aufschlagen des Eisens auf den Ball – schnattern die Viecher so laut, dass deine Konzentration für einen Bruchteil einer Sekunde unterbrochen wird. Die Schlagfläche erreicht den Ball im Moment der schnellsten Schwunggeschwindigkeit, der Aufprallwinkel, suboptimal, bewirkt eine andere Flugbahn als geplant. Der Ball sollte doch mehr nach links, nun driftet er nach rechts ab, landet, wo der Boden trockener und härter ist, und besitzt dann noch die Frechheit, über den Uferrand in einem finalen Sprung ins Wasser zu tauchen. Scheiße. Die roten Gänse lachen und aus dem Wasser steigen Luftblasen.

 

Zum Glück, dein Kollege, der wegen Kniebeschwerden mit dem Elektro-Caddie fährt und den Flug deines Seniorenballs genau verfolgte, ist sofort vor Ort. Mit der teleskopischen Golfball-Rettungsstange in der Hand fischt er deinen Ball des schlammigen Teichbodens. Voller Stolz lässt er seinen Fang auf die Spielbahn fallen und schwört dabei, dass er den Ball vor einem herannahenden riesigen Fisch gerettet habe. Mitten im Teich sieht man größere Wasserblasen aufsteigen, und ein anderer Kollege behauptet, das sei Methangas, das sei fast bei allen Teichen so. Hat er recht, oder war es etwas anderes? Du hattest Glück, dein erster Schlag ging ins Wasser, dein dritter Schlag aufs Grün, und du konntest dieses schöne Loch in fünf Schlägen beenden.

 

Ihr seid weiterhin erfolgreich unterwegs, du spielst immer noch mit dem ersten Ball, während deine Kollegen Verluste hinnehmen mussten. Da und dort habt ihr verstümmelte Bälle gefunden – schade um jeden Ball, der so enden muss. Endlich erreichst du die Bahn 18. Es geht den Platz hoch, es werden die letzten Reserven mobilisiert. Möglichst weit nach oben, mittig in der Bahn, sodass die Fahne sichtbar wird und der zweite Schlag direkt aufs Grün machbar wäre. Also ans Werk.

 

Du wiederholst alle Schritte wie beim erfolgreichen Schlag auf Bahn 1, vielleicht mit etwas zu viel Vorfreude auf das wartende Bier. Irgendwie bist du in alte Muster zurückgefallen, drehst nicht sauber – vielleicht Chicken-Wings? Mit aufgerissenen Augen verfolgst du voller Panik den Ball. Wenn der Slice eine Note erhalten würde, dann war dieser Schlag absolut top. Die Länge wäre großartig gewesen, aber dann, urplötzlich, weicht die Flugbahn nach rechts zur Auslinie ab. Du denkst schon mit Grausen, dass der Seniorenball noch die Frontscheibe eines nahenden Fahrzeugs durchschlagen könnte. Nein, dafür wäre etwas mehr Power nötig gewesen, es reicht aber schon, dass entlang der Spielbahn die Gräser besonders gut gedeihen und abschreckende Höhe erreichen.

 

Dein Ball flitzt durch die Halme, der im Wege liegende Maulwurfhaufen stoppt ihn ebenfalls nicht, und endlich entschwindet er deinen aufmerksam suchenden Augen. Ausgepumpt kommt er zur Ruhe, ironischerweise unter einem vierblättrigen Kleebüschel. Du brichst mental fast zusammen.

 

„Scheiße“, rutscht dir wieder über die Lippen, und dann siehst du ihn – den Ballfresser, der triumphierend deinen Ball zwischen seinen Klauen hält. Speichel rinnt ihm aus dem schrecklichen Maul, spitze Zähne und Hauer, mit denen er den Ball wie spanische Nüsschen aufknacken kann. Sein muskulöser Körper, die Füße mit Krallen bewehrt, ermöglichen ihm ein blitzschnelles Stürzen auf den Ball. Dank seiner rotbräunlichen Haut versteckt er sich im Unterholz vor jedem noch so scharfen Auge. Nach den Bällen deiner Freunde hat er nun auch noch den deinen geholt – und das kurz vor dem Ziel. Du hörst noch das Jubelgeheul des schrecklichen Fressers und dann die Bemerkung deines Kollegen: „Warum solltest du keinen Ball verlieren?“ Der Nimmersatt ist verschwunden. Du platzierst deinen zweiten Ball, spielst und überhörst das freundschaftliche „Jeder Trottel kann den zweiten Ball, etc., etc.“, und du beendest dein Spiel mit einem Double Bogey. Das war zwar ärgerlich, hat aber das Gesamtergebnis nicht sonderlich verschlechtert.

 

Jetzt weißt du es: Du bist der gehörnte Ballfresser selbst, und er schlägt immer zu, wenn du dich überschätzt.

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