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Der Golfballfresser

  • thomasvonriedt
  • 26. Nov.
  • 5 Min. Lesezeit
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Da beginnst du frohen Mutes eine Runde mit Freunden und stehst am Abschlag 1.

 

Das Tee steckst du sauber in den leicht sandigen Boden der Tee-Box. Du trittst einen Schritt zurück, überblickst die vor dir sich öffnende Spielbahn, die deinen gleich geschlagenen Ball erwartet. Dann platzierst du den Seniorenball auf das zitternde Holzstäbchen, gehst erneut hinter den Ball, visierst dein Ziel an und gehst gedanklich die einzelnen Phasen deines Abschlags durch – mit oder ohne Probeschwung.

 

Ruhig bewegt sich der Driver in die Ausgangsposition, um anschliessend beschleunigend, aber kontrolliert auf den Ball zuzurasen. Der Sweet Spot trifft ihn exakt, hebt ihn vom Tee und befördert ihn elegant in die Luft. Du ziehst den Schwung sauber durch, bis sich der Schläger um deinen Körper wickelt, während dir der rechte – oder auch der linke – Fuss in schräger Haltung hilft, das Gleichgewicht zu halten. Die Federkraft deines Körpers hat dem erwartungsvoll wartenden Ball den nötigen Schub verliehen. Schon bald erreicht er seine maximale Flughöhe, senkt sich langsam wieder und fliegt – dem Seitenwind trotzend – auf den rund 200 Meter entfernten Aufschlagpunkt zu.

 

Der Adrenalinspiegel sinkt, ein grossartiges Glücksgefühl breitet sich aus. Dopamin übernimmt die Regie und steigert sich noch, als der Ball am drohenden Bunker vorbei kullert und schliesslich bei gut 210 Metern in perfekter Lage liegen bleibt. Deine Kollegen gratulieren anerkennend – so einen Auftakt hatte keiner erwartet.

 

Im dichten, dornigen Gebüsch links und rechts der Spielbahn schnaubt „einer“ verärgert. All seine negativen Gedanken helfen ihm nichts angesichts deines gelungenen Schlages. Er weiss, seine Stunde wird kommen – die Spannkraft und Konzentration jedes Spielers lassen irgendwann nach, und dann …

 

Dein Spiel läuft weiter. Die meisten Schläge gelingen dir zufriedenstellend; Adrenalin und Dopamin wechseln sich ab wie Ebbe und Flut. Die Hormone steuern deine Gefühlslagen, sichtbar in deinem Gesicht. Hast du dich gesehen, als dein Ball gerade im Bunkersand verschwand? Genau das hat noch gefehlt – du liebst diesen Schlag. Also heisst es: konzentrieren, den richtigen Schläger wählen, die Füsse im Sand verankern, ein paar Trockenschwünge ausführen, die Position anpassen, entspannen. Dann ziehst du locker durch, der Schlägerkopf taucht in den Sand, schiebt ihn vor sich her und befreit den Ball aus dem Hindernis.

 

Viel siehst du nicht – der Sand fliegt dir um die Ohren und in die Haare. Wieder gerettet. Im nahen Unterholz knurrt es erneut: ein enttäuschter Spielverderber muss weiter auf Beute warten.

Das Spiel verläuft wie aus dem Lehrbuch. Zwölf Löcher sind gespielt, und du bist immer noch mit dem ersten Ball unterwegs – eine Seltenheit! Doch langsam meldet sich der Hunger. Du stellst fest, dass du deinen Körper auf den letzten Bahnen nicht mehr mit Energie versorgt hast. Die Konzentration lässt nach; nur dank Glück – und Frau Meiers gütiger Hilfe – springt dein Ball aus dem Rough wieder auf die Spielbahn zurück.

 

Du hast gar nicht bemerkt, wie sich das hohe Gras erwartungsvoll bewegte, um ihn für immer zu verschlingen. Ein paar Schläge waren getoppt, andere unterschlagen – höchste Zeit für die Banane, die dir deine fürsorgliche Gattin eingepackt hat. Du hattest dich gewehrt, aber sie hatte recht. Nur eines hast du vergessen: Fruchtzucker wirkt nicht sofort.

 

Du stehst auf der Tee-Box 13. Früher hättest du den Ball quer über den Teich geprügelt – tempi passati. Heute genügt eine wohltemperierte Vorlage an den Uferrand. Du überlegst: links um den Teich herum, etwas Risiko über die erste rote Stange und dann 150 Meter zur Fahne – oder doch vorlegen und mit Holz über das Wasser? Du entscheidest dich für die linke Variante. Sollte der Ball im Wasser landen, spielst du eben den dritten Schlag – rechts wäre es ohnehin der vierte.

 

Im Wasser kräuseln sich Wellenringe. Vielleicht Lachsforellen, vielleicht ein Wels. Die rostfarbenen, invasiven Nilgänse schnattern frech und lenken dich ab. Am liebsten würdest du einen flachen Schuss mitten in die Meute jagen – Federn würden fliegen, das höhnische Gelächter verstummen. Doch du zwingst dich zur Konzentration. Der Plan steht: Querung im zweiten Schlag, Eisen in der Hand. Ideal wäre ein Auftreffpunkt zwei Meter vor dem Uferrand, danach mit Eisen 5 oder Holz 7 weiter. Du baust deinen Schlag auf – und genau in dem Moment, kurz bevor das Eisen auf den Ball trifft, schnattern die Viecher los. Deine Konzentration bricht für den Bruchteil einer Sekunde. Die Schlagfläche erwischt den Ball im ungünstigsten Winkel; er driftet nach rechts ab, landet hart und springt – frech wie er ist – in einem finalen Satz ins Wasser.

 

Schei..e.

 

Die roten Gänse lachen, und aus dem Teich steigen Blasen auf.

 

Zum Glück ist dein Kollege mit dem Elektro-Caddy sofort zur Stelle. Mit der teleskopischen Golfball-Rettungsstange fischt er deinen Ball aus dem schlammigen Grund. Stolz lässt er ihn auf die Spielbahn fallen und schwört, er habe ihn vor einem riesigen Fisch gerettet. In der Mitte des Teichs steigen erneut grössere Blasen auf – „Methangas“, behauptet ein anderer Kollege, „das ist bei allen Teichen so.“ Ob er recht hat oder nicht – wer weiss.

 

Du hattest Glück: erster Schlag ins Wasser, dritter aufs Grün, Loch in fünf Schlägen beendet.

 

Solide Arbeit.

 

Ihr seid weiterhin gut unterwegs. Du spielst immer noch mit dem ersten Ball, während deine Kollegen bereits Verluste verbuchen mussten. Da und dort habt ihr verstümmelte Bälle gefunden – schade um jeden, der so enden muss. Schliesslich erreicht ihr die Bahn 18. Der Platz zieht bergauf, die letzten Kräfte werden mobilisiert.

 

Der Plan: möglichst weit nach oben, mittig auf die Bahn, damit der zweite Schlag direkt aufs Grün kann.

 

Du wiederholst alle Schritte deines erfolgreichen Abschlags von Bahn 1 – vielleicht mit etwas zu viel Vorfreude auf das wartende Bier. Irgendwie bist du in alte Muster verfallen, drehst nicht sauber – Chicken Wings, wie der Pro sagen würde. Mit aufgerissenen Augen verfolgst du die Flugbahn. Wäre der Slice benotet worden, dieser hätte eine glatte Eins verdient. Die Länge wäre grossartig gewesen, doch plötzlich driftet der Ball nach rechts zur Auslinie. Du siehst ihn schon eine Autoscheibe zerschmettern – aber dafür fehlt die Kraft. Stattdessen verschwindet er in besonders hohem Gras, dort, wo der Boden fruchtbar und das Unkraut unbarmherzig ist.

 

Der Ball schiesst durch die Halme, springt über einen Maulwurfhügel, verliert an Tempo und bleibt schliesslich liegen – ironischerweise unter einem vierblättrigen Kleeblatt. Du bist kurz davor, zusammenzubrechen.

 

„Schei..e“, entweicht es dir. Und dann siehst du ihn – den Ballfresser.

 

Er hält deinen Ball triumphierend zwischen seinen Klauen. Speichel tropft aus seinem schrecklichen Maul, spitze Zähne blitzen, bereit, den Ball wie eine Nuss zu knacken. Sein muskulöser Körper, die krallenbewehrten Füsse, seine rotbräunliche Haut – alles an ihm ist geschaffen, sich blitzschnell auf Beute zu stürzen und im Unterholz unsichtbar zu bleiben.

 

Nach den Bällen deiner Freunde hat er nun auch deinen verschlungen – kurz vor dem Ziel! Du hörst noch sein jubelndes Geheul, dann die lakonische Bemerkung deines Kollegen:

 

„Warum solltest du keinen Ball verlieren?“

 

Der Nimmersatt verschwindet. Du platzierst den Ersatzball, ignorierst das spöttische „Jeder Golfer kann den zweiten Ball …“ und beendest dein Spiel mit einem Double Bogey. Jetzt weisst du es: Der gehörnte Ballfresser bist du selbst – und er schlägt immer dann zu, wenn du dich überschätzt.


Ärgerlich, ja – aber das Gesamtergebnis bleibt respektabel.

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