Der Elefant der wusste was ein Birdie ist
- thomasvonriedt
- 26. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

Man sagt, es gebe Orte auf dieser Welt, an denen die Realität dünner sei als anderswo, als würde sie jeden Moment einreißen wie ein schlecht gespannter Regenschirm. Die Region um George in Südafrika ist so ein Ort. Zumindest für Walter, 65, Golfer, vor der Pensionierung stehend und selbst ernannter Meister des gepflegten halben Lebenssinns.
Walter war aus der Schweiz geflohen, aus Nebel, Niesel und Nachbarn, die immer genau dann die Hecke schnitten, wenn er versuchte, den Sinn des Lebens in einen 6-Meter-Putt zu legen. In George fand er Sonne, Fleisch, Wein und die trügerische Überzeugung, dass man im Alter nur weit genug reist, um sich selbst zu entkommen.
Das funktionierte erstaunlich gut. Bis zu dem Tag, an dem der Elefant auftauchte.
Es war ein Dienstag, 10:34 Uhr, als Walter mit seinem e-Caddie über den Golfplatz glitt. Die Karoo-Hügel glühten in Farben, die aussahen, als hätte ein Gott LSD in den Kaffee gerührt. Walter fühlte sich inspiriert. Sein Handicap war schlecht, aber sein Putter warm, und er stand kurz vor einem Birdie – einem echten, ehrlichen Birdie, das erste seit zwei Jahren.
Der Ball ruhte 20 Zentimeter vor dem Loch. Walter stieg aus, nahm den Putter, atmete ein, und – spürte plötzlich, wie die Sonne verschwand.
Hinter ihm stand ein Elefant. Nicht irgendein Elefant. Ein Bulle, so groß, dass jeder Zoologe bei seinem Anblick kurz über die Grenzen der Evolutionsbiologie nachdenken müsste. Sein Atem klang wie ein Gewitter, das beschlossen hatte, persönlich vorbeizukommen.
Walter erstarrte. Der Elefant nicht. Er hob den Rüssel, schnaubte ein tiefes, vibrierendes Etwas, das Walter durch Mark, Bein und die Reste seiner Würde schickte. Dann sah er ihn an.
Und Walter hatte den seltsamen Eindruck, der Elefant wisse exakt, was ein Birdie ist. Und dass Walter kurz davorstand, eines zu erzielen und dass dies – aus Gründen, die nur Elefanten verstehen – auf keinen Fall passieren durfte.
Walter hob langsam die Hände. Nicht, um sich zu ergeben. Sondern um den Kosmos daran zu erinnern, dass er noch da war. Mehr konnte er nicht tun, denn seine Knie diskutierten bereits ernsthaft darüber, ihn im Stich zu lassen.
Der Elefant trat einen Schritt näher. Walter trat einen Schritt zurück. Der Ball wartete.
Die Welt hielt den Atem an.
Und Walter begriff: Der Tod war nicht furchterregend. Der Tod war absurd. Ein Elefant. Ein Golf Loch. Ein Putt. Das alles ergab keinen Sinn – und gerade darin lag der Sinn.
Dann passierte das Undenkbare: Der Platzwart tauchte auf.
Ein Mann, der aussah, als würde er Elefanten nicht beruhigen, sondern ihnen gelegentlich Ratschläge geben. Mit einer Stimme, so ruhig, dass selbst Panik sich schämte, sprach er auf den Bullen ein. Worte, die Walter nicht verstand. Worte, die der Elefant sehr wohl verstand.
Der Koloss brummte, trat ein letztes Mal drohend auf – und trottete davon, so majestätisch, als hätte er nur kurz geprüft, ob Walter überhaupt eine Existenzberechtigung hatte.
Als er verschwunden war, fiel Walter fast in sich zusammen. Nicht aus Angst, sondern aus Erleichterung, dass das Universum ihn noch eine Runde weiter mitspielen ließ.
Der Ball wartete. 20 Zentimeter. Ein Augenblick der Demut. Walter setzte den Putter an, zitternd, aber entschlossen. Er stiess an.
Der Ball fiel.
Ein Birdie. Ein Sieg über das Nichts. Ein Sieg über die eigene lächerliche Bedeutungslosigkeit.
Später am Abend erzählte Walter die Geschichte. Niemand glaubte ihm. Natürlich nicht.
Aber in seinem Herzen wusste er: Der Elefant hatte verstanden. Und hatte ihn leben lassen. Vielleicht aus Gnade. Vielleicht aus Humor. Vielleicht, weil auch ein Elefant erkennt, wann ein älterer Mann einen Triumph dringend nötig hat.
Und manchmal, dachte Walter, ist das genug.










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