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Der «Büm Kelemen» - das Phänomen des unsichtbaren Freundes?

  • thomasvonriedt
  • 17. Dez.
  • 3 Min. Lesezeit
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Manchmal stolpert man über einen Namen, der klingt, als hätte ihn jemand in einer lauen Sommernacht in den Himmel geschrieben. Büm Kelemen war so einer. Ein Name wie ein geheimnisvoller Wind aus fernen Ländern – nur dass der kleine Maxli weder wusste, wo Ungarn lag, noch warum die Türkei überhaupt existierte. Die Welt war für ihn ohnehin ein Teppich voller Geheimtüren, und Büm Kelemen ging durch eine davon ein und aus, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

 

Maxlis Eltern hingegen standen staunend davor, als würden sie im Wohnzimmer plötzlich Spuren eines Drachen finden. Ihr Sohn war ein Kind, das schon sprach, bevor er Worte hatte, und radelte durch die frühen Jahre wie ein Funkenregen aus Energie. Mit seinem Freund Walterli bildete er ein Zweiergespann, das man eigentlich unter Aufsicht des Katastrophendienstes hätte stellen müssen. Kein Wunder, dass Hauswart Huber sie „Max und Moritz“ nannte – stets mit einer Miene, als müsse er gleich ein Staatsbegräbnis für seine Rosensträucher organisieren.

 

Diese Rosen waren die Opfer eines Balls, der “aus Versehen” hineinflog. Und das Treppenhaus wurde Opfer von etwas, das man später mit einem diplomatischen Ausdruck „künstlerischen Eingriff“ nennen könnte: rote Strichmännchen, überall verteilt, als hätten sie sich hinter Hubers Rücken vermehrt.

 

Die Quelle? Eine offene Dose Bleimennige im Keller. Heute verboten, damals die heilige Salbe für rostgefährdete Dinge. Man roch sie schon von weitem – eine Art metallischer Weihrauch der Arbeiterschicht.

 

Für Max und Walterli war die Sache klar: Das Treppenhaus war langweilig wie ein Regentag ohne Pfützen. Büm Kelemen – wer sonst? – hatte ihnen das geflüstert. Und weil man bei einem Auftrag von einem unsichtbaren Experten keine halben Sachen machte, tauchten sie ihre Arme bis zum Ellbogen in die Farbe, liessen die Tropfen kunstvoll zu Boden fallen und malten dann ihre Strichmännchen mit der Ernsthaftigkeit kleiner Freskenmaler.

 

Huber jedoch erstarrte vor der Wand wie ein General vor einer verlorenen Schlacht. Auf dem Heimweg brummelte er Worte, die klangen, als hätte er sie irgendwo zwischen „völlig verrückt“ und „unterirdisch bescheuert“ gefunden. Seine Frau, die Königin der Waschküche, wartete bereits mit dem königlichen Urteil.

 

Max’ Vater dagegen musste sich innerlich den Bauch halten vor Lachen. Die Malereien hatten etwas Spielerisches, Freches, Lebendiges – das pure Gegenteil der muffigen Ordnung im Haus. Doch er hielt die Fassade eines ernsten Erziehers tapfer aufrecht, als er Max am Abend zur Rede stellte

 

„Und was hat das mit Büm Kelemen zu tun?“, fragte er.

 

„Der hat geschaut, dass es gut wird“, sagte Maxli mit jener Selbstverständlichkeit, die nur Kinder und Götter beherrschen. „Er weiss genau, wo ein Männchen fehlt.“

 

„Und wo ist er jetzt?“

 

„Er ist halt nicht da. Er macht manchmal andere Sachen.“

 

Damit war das Thema im Grunde erledigt. Der Vater ahnte, dass man einem unsichtbaren Freund nichts beibringen konnte, was man seinem Sohn nicht auch mit einem Augenzwinkern durchgehen liess. Also beschränkte er sich darauf, zu sagen: „Das nächste Mal frag bitte deine Mutter.”

 

„Habe ich doch“, meinte Maxli. „Büm war einverstanden.“

 

Kaum war Maxli wieder in seinem Zimmer, hörten die Eltern ihn reden – leise, vertraut, wie mit einem alten Kameraden, der zufällig unsichtbar war. Sie warfen sich Blicke zu: War das normal? Oder sollte man schon mal die Telefonnummer eines Kinderarztes bereitlegen?

 

Die Wahrheit ist: Kinder haben unsichtbare Freunde aus demselben Grund, aus dem manche Erwachsene heimlich mit Pflanzen reden – weil die Welt schöner ist, wenn man sie belebt. Fantasiegefährten sind wandernde Gefährten im Land der magischen Jahre. Manchmal verschwinden sie, wie sie gekommen sind, ohne Abschiedsbrief, ohne dramatische Szenen, einfach so – als hätten sie nur eine Leihfrist im Herzen eines Kindes gehabt.

 

So vergingen die Jahre. Huber bekam weitere Falten, die Strichmännchen verschwanden, Walterli bekam eine Zahnspange – und Büm Kelemen löste sich irgendwann auf wie ein Morgennebel in der Sonne. Max merkte es erst, als er ihn plötzlich nicht mehr suchte.

 

Und dann, viel später, als aus Max ein Vater geworden war und sein eigener kleiner Maxli im Wohnzimmer Holzklötze stapelte, überkam ihn ein leises Staunen. Kommt Büm zurück? Besuchte er nur Kinder? Oder klopfte er vielleicht irgendwo an eine neue Tür?

 

Wie Büm Kelemen zu seinem Namen kam, bleibt ein Rätsel. Vielleicht war er ein Hirngespinst, vielleicht ein Schutzgeist, vielleicht nur ein besonders kreativer Gedanke, der Beine bekommen hatte.

In einer Welt, die immer genauer weiss, was man darf und was nicht, sollte man vielleicht wieder etwas Raum geben für das Unmessbare: für Strichmännchen, die keiner bestellt hat; für Bengel mit farbverschmierten Armen; für unsichtbare Freunde mit seltsamen Namen.

 

Vielleicht sitzt Büm Kelemen gerade irgendwo, die Füsse baumelnd, und wartet darauf, dass ihn jemand ruft.

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