Blutwurz - Golf im Markgräflerland
- thomasvonriedt
- 26. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

«Ässt Dormendill und Bibernell, so stürbett nitt so schnell.»
Wenn alte Sprüche neue Geschichten schreiben. Wer’s glaubt!
Während der Pestzeit im 14. Jahrhundert soll ein Vogel diesen Spruch gepfiffen haben. Genützt hat es wenig – entweder fehlte es an den Kräutern, oder die Menschen schenkten dem gefiederten Warner keinen Glauben. In der Folge raffte die Seuche rund 25 Millionen Menschen in Europa dahin.
Doch was ist eigentlich Dormendill?
Hinter dem geheimnisvollen Namen verbirgt sich Potentilla erecta – besser bekannt als Blutwurz. Neben der Bibernelle galt sie im Mittelalter als bewährtes Mittel gegen die Pest, vermutlich wegen der blutroten Färbung ihrer Wurzeln beim Anritzen. Schlaue Köpfe nutzten das nicht nur medizinisch: Sie stellten daraus rote Tinte her oder färbten Stoffe.
Die Bibernelle (Pimpinella), ein Doldenblütler, wurde dagegen seit jeher als Hausmittel gegen Husten geschätzt. Doch in dieser Geschichte spielt sie nur eine Nebenrolle.
Zurück zur Blutwurz
Ihr unscheinbarer Wurzelstock treibt im Sommer mehrere zarte Stängel aus, besetzt mit gezackten Blättern und gelben Blüten, die an kleine Sonnen erinnern. Die Pflanze gehört zur Familie der Rosengewächse und liebt sonnige Wiesen und lichte Wälder – ihre Blütezeit liegt zwischen Juni und August.
Die Gerbstoffe in der Wurzel wirken adstringierend – also zusammenziehend – auf Haut und Schleimhäute. Sie dichten kleine Wunden ab, hemmen Entzündungen und erschweren Bakterien das Eindringen. Selbst bei Reisedurchfall kann Blutwurz helfen. Zudem mildert sie Juckreiz, da Nervenreize schwächer weitergeleitet werden.
Darum gilt Blutwurz als bewährtes Naturheilmittel – sowohl zum Gurgeln bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum als auch bei Durchfallerkrankungen.
Allerdings vertragen nicht alle die kräftigen Gerbstoffe: Empfindliche Mägen reagieren mit Übelkeit. Wer dazu neigt, sollte lieber auf andere Heilpflanzen ausweichen.
Die Blutwurz (Potentilla erecta)
Familie: Rosengewächse (Rosaceae)
Blütezeit: Juni – August
Standort: Sonnige Wiesen, Waldränder, Moorböden
Wirkstoffe: Gerbstoffe, Flavonoide, Harze
Wirkung: Adstringierend, entzündungshemmend, antibakteriell
Verwendung: Gurgellösungen, Spülungen, pflanzliches Mittel gegen Durchfall
Vorsicht: Bei empfindlichem Magen kann Blutwurz reizen
Eine Episode aus der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts
Covid war noch kein Thema, Kreuzfeld-Jakob vergessen – kurz: die Welt schien in Ordnung.
Ein paar golfbegeisterte Schweizer machten sich auf in die Region um Bühl, BW etwa fünfzehn Kilometer südlich von Baden-Baden. Golfen, lecker essen und trinken unter Freunden – so lautete das Motto.
Das Hotel „Am Fröschbächel“ versprach gute Laune: grosse Zimmer, faire Preise, heitere Stimmung. Und wer Genuss verstand, erkannte sofort die Nähe zu Frankreich. So führte uns die Intuition zum besten Lokal der Umgebung – ein tschechischer Küchenmeister zauberte dort himmlische Gerichte. Wir speisten unter freiem Himmel, tranken edlen Wein und feierten den gelungenen Tag.
Was kann schöner sein als ein erfolgreiches Golfspiel, ein köstliches Menü und ein Glas Riesling in der Abendsonne?
Das „Verreisserli“ – oder die Rache der Blutwurz
Am nächsten Abend stand Deftiges auf dem Plan: Fleisch, Sauce, Pommes, Bier – und als Krönung ein schweres Dessert. Die Erinnerung an das Dessert ist verblasst, nicht aber an das, was danach geschah.
Denn es gibt Menschen, die glauben felsenfest, ein sogenanntes Verreisserli – also ein Magenbitter wie Averna, Fernet Branca oder Gammel Dansk – sorge für bessere Verdauung. Ich behaupte das auch – schlicht, weil mir ein guter Obstler oder Grappa schmeckt.
Die Golffreunde waren sich uneins, was sie nach dem üppigen Mahl bestellen sollten. Etwas Lokales, dachten sie. Die Serviererin empfahl mit einem Lächeln, was schon ihr Grossvater stets getrunken habe – das klang gesund, ja fast traditionell, und schuf Vertrauen.
Vermutlich hatte der Wein bereits seine Wirkung entfaltet, denn sie entschieden sich leichtsinnig für das orale Abenteuer: einen Blutwurz-Schnaps.
Der Geschmack – sagen wir: „interessant“.
Die Wirkung – unmittelbar.
Auf dem Rückweg zum Hotel beschleunigten die beiden Wagemutigen ihre Schritte. Erst gingen sie, dann hasteten sie, schliesslich sprinteten sie. Kaum in der Lobby angekommen, verwandelte sich ihr Eilmarsch in einen regelrechten Hundertmeterlauf die Treppe hinauf. Zwei Türen flogen zu – und kurz darauf hallten seltsame Geräusche durchs Haus. Die Spülung lief häufig. Ständig.
Die Kollegen unten in der Lounge tauschten mitleidige Blicke, grinsten wissend und begaben sich gemächlich auf ihre Zimmer. Sie schliefen den Schlaf der Gerechten – oder sollte man sagen: der Klugen? Denn am nächsten Tag stand noch eine letzte Golfpartie vor der Heimreise an.
Am Morgen darauf traten die Blutwurz-Opfer wieder zur Gruppe – blass, gezeichnet, aber mit unverkennbarem Humor. Sie schworen bei allen Golfheiligen, dass sie niemals wieder Blutwurz trinken würden.
Und bis heute – man höre und staune – haben sie ihren Schwur gehalten.
Fazit
Ein altes Sprichwort, ein harmloses Kraut und ein kräftiger Schnaps – manchmal trennen Volksmedizin und Selbstversuch nur ein paar Gläser.










Kommentare