Berauscht vom Thymian
- thomasvonriedt
- 13. Feb.
- 5 Min. Lesezeit
Bekenntnisse eines romantischen Golfers

Ich stehe auf der Teebox 1.
Eigentlich sollte es ganz einfach sein: Ausholen, schwingen, treffen – und der Ball landet sicher in der Mitte der perfekt gepflegten Bahn. So simpel, und doch ist da diese unterschwellige Nervosität. Der erste Schlag der Runde. Warum denke ich sofort an einen möglichen Hook oder Slice?
Einmal flog mein Ball dramatisch nach links – ein pulled hook, wie man es nennt – und landete beinahe an einem schlanken Baumstamm. Plötzlich war mein Schwung stark eingeschränkt. Beim Versuch, den Ball mit dem Eisen 7 zurück auf das Fairway zu bringen, zeigte sich die Natur unbeeindruckt. Mein Eisen 7 überlebte diesen Kampf nicht.
Negative Gedanken stören das Spiel – und doch drängen sich solche Erlebnisse immer wieder aus der Schatzkiste schlechter Erfahrungen in den Vordergrund. Ich spüre, wie sich meine Muskeln langsam verkrampfen. Also innehalten, neu ausrichten. Mach es wie die Jungen, denke ich, lockerlassen und durchziehen. Ich bringe den Driver ruhig in Position, schwinge kontrolliert zurück, setze den Körper mit ein. Die Eleganz fehlt mir oft, das Knie macht nicht ganz mit – es mangelt an Lockerheit.
Der Schlägerkopf trifft mit hoher Geschwindigkeit auf den bemitleidenswerten Ball.
Es ist vollbracht. Der Ball verlässt das Tee. Meine Arme folgen der Bewegung nach vorne, ich hebe leicht den rechten Fuß, um dem Schwung eine elegante Note zu verleihen. Beeindruckend: Die ersten 100 Meter verlaufen perfekt gerade – wer hätte das gedacht? Der Ball steigt in einer idealen Flugbahn. Doch dann, am Apex bei etwa 120 Metern, beginnt er sich zu verändern.
Ein Draw.
Der Wind greift ein, verstärkt den Drall, treibt ihn über die unsichtbare Mittellinie hinaus – in Richtung Verderben. Ich sehe, wie er aufprallt, über den Sandbunker springt und schließlich in Richtung Straße verschwindet.
Wieder einmal habe ich zu hart geschlagen, vielleicht mit Chicken Wings oder einfach mit zu viel Kraft. Der Ball landet im Rough, im hohen Gras – eine Herausforderung für jeden Golfer. Ist das Gras ungeschnitten, wird die Befreiung zu einer echten Prüfung. Ein präziser Schlag muss den Ball aus der Umklammerung des Grüns befreien. Zurück aufs Fairway oder der mutige Versuch in Richtung Green? Wedge, Eisen oder Rescue? No guts, no glory – no risk, no fun.
Dafür muss man den Ball allerdings erst einmal finden.
Im Mai und Juni kann die Suche zur Qual werden, wenn der Klee fett und das Gras hochsteht. Die Damen weigern sich oft, aus Angst vor Zecken mitzuhelfen. Man muss fast auf den Ball treten, um ihn zu entdecken. Meist endet die Suche mit einem Verlust – dafür findet man oft zwei oder drei andere Bälle. Ein fairer Tausch.
Jetzt, Mitte Juli, sieht es freundlicher aus. Die Wiesen wurden vor Kurzem gemäht, es hat wochenlang nicht geregnet. Nur die anspruchslosesten Pflanzen überstehen die sengende Sonne. Der Klee ist nur noch ein Schatten seiner selbst, die Gräser größtenteils verdorrt. Wenige Pflanzen bedecken den Boden, bieten aber einem verlorenen Ball eine weiche Bettstatt.
Die Sonne hat den Boden ausgetrocknet, erste Risse durchziehen die Erde. Ameisen marschieren in langen Kolonnen durch die Spalten. Wo noch Blüten blühen, schwirren Schmetterlinge, Bienen und Hummeln. Natur pur – so macht Golfen Spaß.
Während die Damen ihre Bälle selbstverständlich auf das Fairway gespielt haben, liegt der Ball meines Partners links im Schatten der Bäume. Nicht ideal, aber spielbar. Ich mache mich auf die Suche nach meinem Wilson.
An der Grenze zwischen der getrimmten Spielbahn und der wilden Wiese lasse ich meinen Elektro-Caddy stehen. Ich betrete die Magerwiese, die mich an die provenzalische Landschaft erinnert. Nach wenigen Schritten umfängt mich der Duft von Kräutern.
Ich wähne mich in der sonnenverbrannten Weite des Luberon, wo laut Peter Mayle die wahre Provence zu Hause ist.
Wie? Du kennst Peter Mayle nicht? Der Brite, der die Provence wie kein anderer beschrieb! Lavendel, Rosmarin, Basilikum, Oregano, Thymian – alles wächst hier wild. Der Duft liegt in der Luft, betäubt die Sinne. Meine Gedanken schweifen ab.
Es ist der Thymian. Welch ein Duft! Wer die mediterrane Küche liebt, kommt ohne dieses würzige Kraut nicht aus. Meine Spielpartner habe ich längst vergessen.
Vor meinem inneren Auge erscheinen Bilder von geschmortem Fleisch, Coq au Vin, ein kühler Ricard mit Eis. Dazu Wild, Lamm, Oliven, Knoblauch, Auberginen und Kartoffeln.
Zur Vorspeise vielleicht in Öl gedünstete Bovist-Scheiben? Das ist doch um Längen interessanter als die langweilige Nicaragua-Banane des Durchschnittsgolfers, oder?
Die Sonne brennt, die Luft flimmert. Schweiß läuft mir über die Stirn. Ein paar Bremsen versuchen, sich auf meinen nackten Waden niederzulassen – ein Vorhaben, das mit einem Klatschen endet. Der Boden ist trocken, wie Marcel Pagnol ihn in L’Eau des Collines beschreibt.
Ist das Manon de Provence, die ich dort drüben sehe?
Blühender Thymian bedeckt den Boden, seine weiß-lila Blüten sind stellenweise schon bräunlich verbrannt. Zwischen den Flecken erkenne ich weiße Punkte – Golfbälle oder Bovist-Pilze? Schweiß läuft mir in die Augen, die Sonne brennt in meinem Nacken. Am Himmel türmen sich Kumuluswolken, aus der Ferne grollt es bedrohlich. Ich muss mich beeilen, bevor das Unwetter losbricht.
Hier oben auf der Hochebene ist man schutzlos ausgeliefert. Der Weg zur Mas de l’Alp Supérieure (Obere Alp) ist noch weit. Der würzige Duft des Thymians füllt meine Lungen, seine ätherischen Öle scheinen direkt in mein Gehirn zu steigen. So müssen sich wohl Haschisch-Raucher fühlen – wenn Fantasie und Realität ineinanderfließen, ein wohliges Gefühl den Körper durchströmt.
„Hast du ihn immer noch nicht gefunden?“ höre ich Manon rufen.
Sollte sie nicht sagen: Tu ne l’as pas encore trouvé? Seit wann spricht Manon Deutsch?
Langsam erwache ich aus meinem Thymianrausch. Der Nebel hebt sich. Was ich für einen Pilz hielt, entpuppt sich als mein Wilson Staff Ball.
Manon aus der Provence, die nun bei mir steht, verwandelt sich plötzlich in meine Ehefrau.
Das Spiel hat mich zurückgeholt. Die Träume verblassen.
Kein provenzalischer Festschmaus nach der Runde, kein Ricard beim Pétanque unter den Platanen. Adieu Manon, adieu Provence – die Reise ist vorbei.
Ich bin zurück auf der alemannischen Alp, mitten im Rough. Mit einem Hauch Wehmut schlage ich den Wilson in Richtung Green. Pflanzenstängel und Blüten fliegen durch die Luft, mein Schläger trägt die Spuren des Abschlags.
Ein letzter Hauch von Thymian steigt auf.
Winkt Manon mir zu? Wirklich? Sie fordert mich auf, endlich nachzukommen. Ich halte mein Eisen fast wie einen Hirtenstab und eile meinen Spielpartnern hinterher.
Der Befreiungsschlag war erfolgreich, der Ball liegt am Rand des Greens. Mit zwei Putts sollte er fallen.
Ich lächle.
„Es Pärli, so guet!“ höre ich meine Freunde anerkennend sagen.
Was hätte wohl Manon dazu gesagt?
Vielleicht sollte ich einmal in der Provence Golf spielen.
Würde ich ihr dort begegnen?
Es wird Zeit für ein Gläschen Fargoule, den Thymian Likör aus der Gegend von Forqualquier.
Salut.








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