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Alfred, der einsame Golfer

  • thomasvonriedt
  • 26. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit
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Mit seiner Gattin Karin hatte Alfred viele glückliche Jahre verbracht. Gemeinsam zogen sie ihre Kinder groß, doch dann, völlig unerwartet, wurde sie durch einen tragischen Unfall aus dem Leben gerissen. Ein Raser zerstörte ihr gemeinsames Glück und verwandelte den einst lebensfrohen Alfred in einen mürrischen Zeitgenossen. Er verlor jeglichen Lebensmut und war lange Zeit kaum fähig, seinen Alltag zu bewältigen. Er gehörte noch zu jener Generation, die niemals selbst einen Haushalt führen musste. Erst hatte seine Mutter für ihn gesorgt, später übernahm Karin liebevoll diese Rolle.

 

Seit dem Tod seiner geliebten Frau zog sich Alfred immer tiefer in seine eigene Welt und seine Trauer zurück. Die Tage verbrachte er meist allein auf dem Golfplatz – nicht aus Freude am Spiel, sondern um der bedrückenden Einsamkeit seines Hauses zu entfliehen. Mit der Zeit wurde er immer verschlossener und knorriger. Seine Antworten fielen knapp aus, sein Blick ging oft ins Leere, und die Clubmitglieder akzeptierten bald, dass Alfred lieber für sich blieb.

 

Die gut gemeinten Versuche seiner Golfkollegen, ihn aus seiner Einsamkeit zu locken, blieben erfolglos. Die moderne Art der Partnerwahl empfand Alfred als fremd, und die Kontaktanzeigen in der Golfzeitung stießen ihn regelrecht ab. „Die suchen doch nur einen gut situierten Mann, der Reisen und Vergnügen bezahlt“, knurrte er häufig vor sich hin.

 

Eines sonnigen Morgens, während er schweigend und mürrisch seinen Abschlag vorbereitete, fiel sein Blick zufällig auf eine elegante, ältere Dame, die mit ihren Kolleginnen beim Starterhäuschen wartete und hinter ihm spielen würde. Ihre Ausstrahlung kam ihm seltsam vertraut vor, ihr charmantes Lachen irritierte ihn angenehm und weckte Gefühle, die er längst verloren glaubte. Dieses Lächeln, die Grübchen auf ihren Wangen – Alfred fühlte sich plötzlich in eine ferne Vergangenheit zurückversetzt. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, woher er sie kannte, und grübelte während der ganzen Runde.

„Kenne ich sie? Noch nie gesehen im Club. Sollte ich sie ansprechen? Aber wie?“

Diese Fragen beschäftigten ihn so sehr, dass sein Spiel deutlich darunter litt.

 

Nach der Runde reinigte er rasch seine Schläger, verstaute sie und eilte ins Clubrestaurant an seinen Stammplatz. Immer wieder kreisten seine Gedanken um die attraktive Frau, und er hoffte, dass sie nach dem Spiel ebenfalls ins Restaurant käme. Tatsächlich betrat sie kurz darauf mit ihren Freundinnen das Lokal und setzte sich an einen Tisch in Sichtweite. Alfred, geblendet von ihrer Ausstrahlung, wagte kaum aufzublicken. Zwischen zwei Schlucken Bier suchte er vorsichtig ihren Blick. Sie erwiderte seinen schüchternen Blickkontakt mit einem warmen Lächeln, das Alfred tief berührte und ihn ins Schwitzen brachte.

 

Die Damen bemerkten die aufkommende Spannung, flüsterten untereinander und warfen abwechselnd Blicke zu Alfred, was ihn zunehmend nervös machte. Wie ein Schuljunge beim ersten Rendezvous fühlte er sich unsicher; er spürte sogar, wie er leicht errötete.

 

Alfred betrachtete sie genauer: schlank, attraktiv, in einem eleganten Kostüm; das halblange Haar frech gescheitelt, von feinen silbrigen Strähnen durchzogen. Eine Perlenkette verlieh ihr eine zeitlose Eleganz, die ihn schmerzhaft an Karin erinnerte.

 

Plötzlich erhob sich die Unbekannte. Ihre Freundinnen lächelten ermunternd, während sie zielstrebig auf Alfred zuging.

 

„Alfred? Bist du es wirklich?“, fragte sie mit einem überraschten, aber herzlichen Lächeln.

 

Alfred schaute erst verdutzt, doch dann erkannte er sie: Charlotte, seine Sandkastenfreundin, die einst mit ihrer Familie ausgewandert war.

 

„Charlotte! Du bist es!“, rief er erfreut und rückte hastig seinen Stuhl zurecht. „Setz dich doch zu mir! Darf ich dir etwas anbieten?“

 

Sie unterhielten sich lange, tauschten Erinnerungen an vergangene Tage aus und erzählten einander aus ihrem Leben. Charlotte war nach dem Tod ihres Mannes, eines erfolgreichen Unternehmers, als wohlhabende Witwe in die Schweiz zurückgekehrt, um ihre Wurzeln wiederzufinden. Keiner von beiden hatte nach einer neuen Liebe gesucht, doch ihr Wiedersehen fühlte sich an wie eine kleine Fügung des Schicksals.

 

Bald entstand zwischen ihnen eine zarte Nähe, eine Liebe, die beiden zeigte, dass das Leben auch im fortgeschrittenen Alter noch voller Überraschungen sein kann. Alfred erkannte, dass Cupidos Pfeil ihn unerwartet mitten ins Herz getroffen hatte – und dieses Mal, davon war er überzeugt, war es ein perfekter Abschlag.

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