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Der einsame Golfer Alfred

  • thomasvonriedt
  • 16. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

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Mit seiner Karin hatte Alfred viele glückliche Jahre verbracht. Sie zogen gemeinsam erfolgreich ihre Kinder groß, doch dann, völlig unerwartet, wurde sie durch einen tragischen Unfall aus dem Leben gerissen. Ein Raser zerstörte ihr gemeinsames Glück und verwandelte Alfred von einem fröhlichen Menschen in einen mürrischen Zeitgenossen. Alfred verlor jeglichen Lebensmut und war lange Zeit kaum fähig, seinen Alltag zu bewältigen. Er gehörte noch zu jener Generation, die niemals selbst einen Haushalt führen musste. Erst hatte seine Mutter für ihn gesorgt, später übernahm Karin liebevoll diese Rolle.


Seit dem Tod seiner geliebten Frau zog sich Alfred immer tiefer in seine eigene Welt und seine Trauer zurück. Die Tage verbrachte er meist allein auf dem Golfplatz, nicht aus Freude am Spiel, sondern um der bedrückenden Einsamkeit seines Hauses zu entfliehen. Mit der Zeit wurde er zunehmend verschlossener und knorriger. Seine Antworten fielen knapp aus, sein Blick richtete sich oft nach innen, und die Clubmitglieder akzeptierten bald, dass Alfred lieber für sich blieb.


Die gutgemeinten Versuche seiner Golfkollegen, ihn aus seiner Einsamkeit zu locken, schlugen fehl. Die moderne Art der Partnerwahl empfand Alfred als fremd, und die Kontaktanzeigen in der Golfzeitung stießen ihn regelrecht ab. „Die suchen doch nur einen gut situierten Mann, der Reisen und Vergnügen zahlen soll“, knurrte er häufig vor sich hin.


Eines sonnigen Morgens, während er schweigend und mürrisch seinen Abschlag vorbereitete, fiel sein Blick zufällig auf eine elegante, ältere Dame, die mit ihren Kolleginnen beim Starterhäuschen wartete und hinter ihm spielen würde. Ihre Ausstrahlung wirkte vertraut, ihr charmantes Lachen irritierte ihn angenehm und weckte Gefühle, die er lange verloren glaubte. Dieses Lächeln, die Grübchen auf ihren Wangen – Alfred fühlte sich plötzlich in eine ferne Vergangenheit zurückversetzt. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, woher er sie kannte, und grübelte während der ganzen Runde. „Kenne ich sie? Noch nie gesehen, im Club. Sollte ich sie ansprechen? Aber wie?“ Diese Gedanken beschäftigten ihn so sehr, dass sein Spiel darunter litt.


Nach der Runde reinigte er rasch seine Schläger, verstaute sie und eilte ins Clubrestaurant an seinen Stammplatz. Immer wieder kreisten seine Gedanken um die attraktive Frau, und er hoffte, dass sie nach dem Spiel ebenfalls ins Restaurant käme. Tatsächlich betrat sie mit ihren Freundinnen kurz darauf das Lokal und setzte sich an einen Tisch in Sichtweite. Alfred, geblendet von ihrer Attraktivität, wagte kaum aufzusehen. Zwischen zwei Schlucken Bier suchte er vorsichtig ihren Blick. Sie erwiderte seinen schüchternen Blickkontakt mit einem warmen Lächeln, das Alfred tief berührte und ihn ins Schwitzen brachte.


Die Damen bemerkten die aufkommende Spannung und flüsterten untereinander, warfen abwechselnd Blicke zu Alfred, was ihn zunehmend nervös machte. Wie ein Schuljunge beim ersten Date fühlte er sich unsicher, ja, er spürte sogar, wie er leicht errötete.


Alfred betrachtete sie genauer: schlank, attraktiv, in einem eleganten Kostüm, das halblange Haar frech gescheitelt, mit silbrigen Strähnen. Ihre Perlenkette verlieh ihr eine zeitlose Eleganz, die ihn schmerzhaft an Karin erinnerte.


Plötzlich erhob sich die Unbekannte. Ihre Freundinnen lächelten ermunternd, während sie zielstrebig auf Alfred zuging.


„Alfred? Bist du es wirklich?“ fragte sie mit einem überraschten, aber herzlichen Lächeln. Alfred schaute zuerst verdutzt, doch dann erkannte er sie: Charlotte, seine Sandkastenfreundin, die einst mit ihrer Familie ausgewandert war.


„Charlotte! Du bist es!“, rief er erfreut und bot ihr spontan einen Platz neben sich an. „Wie kommst du hierher? Darf ich dir etwas anbieten?“


Sie unterhielten sich lange, tauschten Erinnerungen an vergangene Tage aus und erzählten einander aus ihrem Leben. Charlotte war nach dem Tod ihres Mannes, eines erfolgreichen Unternehmers, als wohlhabende Witwe zurück in die Schweiz gezogen, um ihre Wurzeln wiederzufinden. Keiner der beiden hatte nach einer neuen Liebe gesucht, doch ihr Wiedersehen schien eine Fügung des Schicksals zu sein.


Bald entstand zwischen ihnen eine zarte Liebe, die beiden zeigte, dass das Leben auch im fortgeschrittenen Alter noch voller Überraschungen sein kann. Alfred erkannte, dass Cupidos Pfeil ihn unerwartet mitten ins Herz getroffen hatte – und dieses Mal, so war er überzeugt, war es ein perfekter Abschlag.

 





 

©thomasvonriedt2025

Image by DALL-E

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